Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
eine kleine Ortschaft, aus der dichter Rauch aufwirbelte, Flammen schossen gen Himmel, ein roter Wirbel umhüllte alles. Gräßliches Geschrei zerriß die Luft. Balken stürzten, Steine prasselten hernieder. Aber obwohl ein schreckliches Gewirr von Stimmen erscholl, sah man doch kein menschliches Antlitz. Aus der Ferne klangen Kanonenschüsse herüber, Musketensalven knatterten, das Meer brüllte, Getier flüchtete in langen Sätzen über den Boden – und doch sah man keinen Soldaten mit Lunte oder Flinte, keinen Hirten jener Tiere, keinen Bewohner der Gegend.
Die Nacht brach herein – ein sternenheller Himmel stand über der Szene der Verwüstung, tiefes Schweigen lag über der Landschaft. Der Mond ging auf, und in seinem bleichen Lichte sah Athos nun Leichen ringsum am Boden liegen. Angst und Schrecken ergriffen ihn, als er die Uniformen französischer Soldaten erkannte und die Musketen erblickte, mit dem Zeichen der Lilie am Schaft. Und im Traum schritt Athos von einer Leiche zur andern und neigte sich über alle diese toten Gesichter herab, und diejenigen, die nach unten gekehrt waren, drehte er herum. Den er suchte, fand er nicht.
Während sein Auge nach allen Seiten umherirrte, sah er plötzlich eine weiße Gestalt erscheinen, die ein zerbrochnes Schwert in der Hand hatte und langsam, mit herabhängenden Armen, mit starrem Blick herankam. Da erkannte er Rudolf. Athos wollte schreien, aber die Kehle war ihm zugeschnürt. Die Erscheinung winkte ihm auch zu schweigen, indem sie einen Finger auf den Mund legte. Dann wich sie zurück, und Athos, wie gebannt, folgte ihr. Rudolf schien den Boden nicht zu berühren; mühelos schwebte er dahin, während die Füße des Grafenvon Gestrüpp und dornigem Gesträuch zerrissen wurden. Erschöpft hielt er inne, doch Rudolf winkte noch immer. So folgte er ihm abermals, bis er den Gipfel eines Hügels erstiegen hatte. Von der höchsten Kuppe hob sich die weiße, lichte Gestalt Rudolfs im Schimmer des Mondes duftig ab. Athos streckte die Hände aus – da hob die Erscheinung sich von der Erde auf und begann zum Himmel emporzuschweben.
Athos stieß einen Schrei aus und erwachte. Im selben Augenblick wurde an die Tür geklopft. Der Graf richtete sich auf und rief: »Ein Kurier aus Afrika, nicht wahr?« – »Nein, gnädiger Herr!« antwortete eine Stimme, bei deren Klang Athos zu Tode erschrak.
»Grimaud!« stöhnte er. – Und der Schweiß rann ihm über die abgezehrten Wangen herab. – Grimaud erschien auf der Schwelle, doch nicht mehr der Grimaud von früher, ja nicht einmal der, der mit Rudolf zusammen das Schiff betreten hatte. Ein bleicher, hagerer Greis mit weißem Haar, der sich an den Türpfosten lehnte, um nicht umzufallen. Diese beiden Männer, die so viele Jahre gemeinsam verlebt, so vieles zusammen getragen hatten, diese zwei Freunde, die dem Herzen nach einer so edel waren wie der andere, wenn auch durch Geburt und Vermögen ungleich – diese beiden verstummten jetzt, als sie einander erblickten. An der Veränderung, die mit ihnen vorgegangen, erkannten sie, was geschehen war. In demselben Tone, in dem Athos im Traum zu Rudolf gesprochen, wandte er sich nun an Grimaud: »Rudolf ist tot, nicht wahr?« – Hinter Grimaud standen zitternd die Diener, sie hörten die furchtbare Frage ihres Herrn; man hätte glauben mögen, in dem tiefen Schweigen, das auf einen Augenblick herrschte, alle Herzen schlagen zu hören.
»Ja!« antwortete Grimaud. – Athos hob die Augen zu Rudolfs Bilde empor, das über seinem Bette hing – und die Wirklichkeit verlor sich für ihn. Dieses Bild wurde in seinen Augen eins mit jener weißen Gestalt in der Wüste. Er lächelte, er sah Rudolf vor sich durch die Luft gen Himmel schweben, wie eben noch im Traum. Die Hände über der Brust gefaltet, den Blick auf das Bild geheftet, ging Athos, geführt von der reinen, keuschen Seele seines Sohnes, ins Paradies ein. Leise, so daß man ihn kaum verstand, murmelte er die Worte: »Hier bin ich.« Dann sank er zurück. Liebreich war der Tod diesem Gerechten gegenübergetreten: Er hatte ihm Krämpfe und Zuckungen erspart, er ließ ihn hinübergehen mit dem Lächeln eines Mannes, der eine süße Melodie hört. Die Ruhe seiner Züge, der Friede seines Antlitzes, seiner ganzen Haltung ließen seine Dienerschaft lange daran zweifeln, ob er auch wirklich gestorben sei.
Alle entfernten sich – nur Grimaud blieb, und man ließ ihn auch dort, denn man fürchtete, er würde beim ersten Schritt aus dem
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