Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
einfach. Ich lasse das Leben sozusagen in der Schwebe, Doktor. Verlangen Sie doch von einer Lampe nicht, daß sie brenne, wenn kein Funke an den Docht gelegt wird. Verlangen Sie nicht von mir, daß ich ein Leben voll Licht und Geräusch führe, solange mein Sohn fort ist. Ich vegetiere, ich halte mich bereit, ich warte. Ich bin wie ein Soldat, der auf seine Einschiffung wartet; er gehört noch nicht dem Fahrzeug an, das ihn aufs Meer tragen soll, doch auch nicht mehr ganz der Erde, von der er scheiden soll. Sein Gepäck ist bereit – er schaut nach dem fernen Horizont und wartet. So steht es mit mir. Sobald der Ruf erschallt, breche ich auf. Von wannen wird dieser Ruf ausgehen? Vom Leben oder vom Tode?«
Der Doktor kannte diese feste, eiserne Seele, und da er wußte, daß Arzeneien ein Unding wären, so ging er fort, nachdem er der Dienerschaft empfohlen hatte, ihren Herrn keinen Augenblick allein zu lassen. In der Nachtnach dem Besuch des Doktors träumte Athos von Rudolf: Der junge Mann kleidete sich in seinem Zelt an, um auf eine Expedition zu gehen, mit der Herr von Beaufort ihn betraut hatte. Er war traurig und schnallte sich langsam das Schwert um. – »Was hast du?« fragte ihn sein Vater zärtlich. – »Ich bin betrübt, daß Porthos gestorben ist,« antwortete Rudolf. »Das schmerzt mich hier ebenso tief, wie es Sie dort schmerzt.« – Athos erwachte; der Tag brach an, und man meldete ihm alsbald, ein Brief aus Spanien sei angekommen. – Er erkannte die Schrift d'Herblays. »Aramis schreibt mir,« sagte er, öffnete den Umschlag und las.
»Porthos ist tot!« rief er nach den ersten Zeilen. »O, Rudolf, daran erkenne ich, du hältst dein Versprechen, du gibst mir Nachricht!« – Und von kaltem Schweiß übergossen, sank er ohnmächtig auf sein Bett.
Als er zu sich kam, schämte er sich fast, daß ein solches Traumgesicht ihn so erschüttert habe. Er vollendete die Lesung des Briefes, der ihm von den Vorgängen auf Belle-Ile Kunde gab, und beschloß, nach Pierrefonds zu reisen und dann mit d'Artagnan nach der Insel zu fahren, wo er die Stelle besichtigen wollte, an welcher der treue, gute Porthos den Tod gefunden. Aber kaum hatten seine Diener ihn angekleidet, froh, ihn zu einer Reise entschlossen zu sehen, kaum war das Pferd gesattelt, so fühlte Athos sich plötzlich wieder von Schwäche befallen und vermochte keinen Schritt zu tun. Man brachte ihn auf eine Bank, wo er sich niederließ, den Kopf in beide Hände nahm und eine ganze Stunde in einem halb bewußtlosen Zustande verharrte. Als er aufstehen konnte, nahm er Suppe und Wein zu sich. Er stieg dann wirklich mühsam in den Sattel und ritt fort.
Nach hundert Schritten begann er heftig zu zittern. »Halten wir an, gnädiger Herr,« sagte der Diener, der ihn begleitete, »Sie werden blaß.« – »Das soll mich nicht hindern, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen,« antwortete Athos und ließ dem Pferd den Zügel. – Aber nach wenigen Schritten schon blieb das Tier ein zweitesmal stehen, anscheinend von selbst und gegen den Willen seines Herrn. – »Ein Etwas will, daß ich nicht weiterreite,« sprach Athos. »Schnell – alle Kräfte verlassen mich – hilf mir herab, sonst falle ich aus dem Sattel.« Der Bediente fing den Herabsinkenden in den Armen auf. Da sie noch nicht weit vom Hause entfernt waren, konnte er die andern Diener herbeirufen, und man führte nun den Grafen in sein Zimmer zurück, wo er sich sofort wohler fühlte. Dennoch kam er auf seinen Entschluß zurück und ließ sich das Pferd wieder vorführen. Als er die Hand an den Zaum legte, bäumte sich das Tier, riß sich los und lief ein Stück weit weg. Athos schüttelte den Kopf. – »Ich soll daheim bleiben,« sagte er, »das ist klar. Also fügen wir uns.«
Er kehrte ins Haus zurück und legte sich zu Bett. Er schlummerte ein, aber der Schlaf war nicht erquickend. Der Tag verging; Athos hatte bestimmt Nachrichten aus Afrika erwartet, aber es kam kein Brief an. Wenn der Kurier nicht infolge einer geringen Verspätung über Nacht anlangte, dann mußte der Graf, da Depeschen aus Afrika nur alle acht Tage befördert wurden, eine neue Woche qualvoller Ungewißheit erdulden. Während er dies bedachte, schlief er ein, und mitten in die Gefilde von Afrika ward er im Geist geführt. Er sah den trocknen Wüstensand zu seinen Füßen, er fühlte die brennende Sonne des Südens auf seiner Haut, und heißer Wind blies gegen seine glühende Stirn an.
Auf dem dürren Gelände lag
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