Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Priester die Stufen hinauf bis zur eichenen Tür. Decado zögerte auf der Schwelle – während all seiner Jahre im Kloster hatte er diese Stufen nie betreten.
Der Abt drehte sich um. »Komm!« sagte er und trat in die Schatten. Ein seltsames Gefühl der Angst ergriff den Gärtner, als ob ihm seine Welt entglitte. Er schluckte und begann zu zittern. Dann holte er tief Luft und folgte dem Abt.
Der Abt führte ihn durch ein Labyrinth von Gängen, aber Decado schaute weder nach links noch rechts, sondern richtete seinen Blick fest auf den grauen Kittel des Mannes vor ihm. Der Abt blieb vor einer Tür stehen, die wie ein Blatt geformt war. Sie besaß keine Klinke.
»Öffne dich«, flüsterte der Abt, und die Tür glitt lautlos beiseite. Dahinter befand sich ein langgestreckter Raum, in dem dreißig silberne Rüstungen standen, dazu Mäntel in strahlendem Weiß. Vor jeder Rüstung stand ein kleiner Tisch, auf dem Schwert und Scheide sowie ein Helm mit weißem Roßhaarbusch lagen.
»Weißt du, was das hier ist?« fragte der Abt.
»Nein.« Decado schwitzte stark. Er wischte sich die Augen, und der Abt stellte besorgt fest, daß der gehetzte Ausdruck wieder in seine Augen zurückgekehrt war.
»Das sind die Rüstungen, welche die Dreißig von Delnoch unter der Leitung von Serbitar trugen – die Männer, die im Ersten Nadirkrieg kämpften und starben. Du hast doch von ihnen gehört?«
»Selbstverständlich.«
»Erzähl mir, was du gehört hast.«
»Was soll das alles, Vater Abt? Ich habe noch Arbeit im Garten zu tun.«
»Erzähl mir, was du über die Dreißig von Delnoch weißt«, befahl der Abt.
Decado räusperte sich. »Sie waren Krieger-Priester. Anders als wir. Sie übten jahrelang mit den Waffen und wählten dann einen fernen Krieg, um dort zu sterben. Serbitar führte die Dreißig in Delnoch, wo sie dem Bronzegrafen und Druss der Legende mit ihrem Rat zur Seite standen. Gemeinsam wehrten sie Ulrics Horden ab.«
»Warum sollten Priester zu den Waffen greifen?«
»Ich weiß es nicht, Vater Abt. Es ist unbegreiflich.«
»Wirklich?«
»Du hast mich gelehrt, daß alles Leben der Quelle heilig ist, und daß es ein Verbrechen gegen Gott ist, Leben zu nehmen.«
»Und doch muß man das Böse abwehren.«
»Aber nicht, indem man die Waffen des Bösen benutzt«, antwortete Decado.
»Ein Mann steht mit gezücktem Speer über einem Kind. Was würdest du tun?«
»Ich würde ihn aufhalten – aber nicht töten.«
»Du würdest ihn mit einem Fausthieb aufhalten?«
»Ja, vielleicht.«
»Er stürzt schwer, schlägt sich den Kopf auf und stirbt. Hast du dann gesündigt?«
»Nein … ja … ich weiß nicht.«
»Er ist der Sünder, denn sein Tun hat dein Handeln verursacht, und daher war es seine Tat, die ihn getötet hat. Wir streben nach Frieden und Harmonie, mein Sohn – wir sehnen uns danach. Aber wir gehören zu dieser Welt und ihren Anforderungen. Dieses Volk lebt nicht mehr in Harmonie. Das Chaos regiert, und es ist furchtbar, all die Leiden zu sehen.«
»Was versuchst du mir zu sagen, Herr?«
»Das ist nicht leicht, mein Sohn, denn meine Worte werden dich sehr treffen.« Der Abt trat vor und legte dem Priester die Hände auf die Schultern. »Dies ist ein Tempel der Dreißig. Und wir bereiten uns darauf vor, gegen die Dunkelheit zu ziehen.«
Decado wich vor dem Abt zurück. »Nein!«
»Ich möchte, daß du mit uns reitest.«
»Ich habe an dich geglaubt. Ich habe dir vertraut
!«
Decado wandte sich um, so daß er unmittelbar vor einer der Rüstungen stand. Er fuhr herum.
»
Das ist es, wovor ich hierher geflohen bin! Mord und Totschlag. Scharfe Klingen und aufgeschlitztes Fleisch. Ich war glücklich hier. Und jetzt hast du mir all das genommen. Macht weiter – spielt euer Soldatenspiel. Ich will nichts damit zu tun haben.«
»Du kannst dich nicht ewig verstecken, mein Sohn.«
»Verstecken? Ich kam her, um mich zu ändern.«
»Es ist nicht schwer, sich zu ändern, wenn dein größtes Problem darin besteht, daß in einem Gemüsebeet Unkraut wächst.«
»Was soll das heißen?«
»Es heißt, daß du ein krankhafter Killer warst – ein Mann, verliebt in den Tod. Jetzt biete ich dir die Gelegenheit festzustellen, ob du dich wirklich geändert hast. Zieh die Rüstung an und reite mit uns gegen das Chaos.«
»Um wieder töten zu lernen?«
»Wir werden sehen.«
»Ich will nicht töten. Ich möchte mit meinen Pflanzen leben.«
»Glaubst du, ich will kämpfen? Ich bin fast sechzig. Ich liebe die Quelle und
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