Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
alles, was wächst und sich regt. Ich glaube, das Leben ist das größte Geschenk im Universum. Aber das Böse gibt es wirklich auf dieser Welt, und es muß bekämpft werden. Vernichtet. Dann haben andere die Möglichkeit, die Freuden des Lebens zu kosten.«
»Kein Wort mehr!« fuhr Decado ihn an. »Kein einziges Wort mehr!« Jahrelang unterdrückte Gefühle brachen sich Bahn, erfüllten seine Sinne; vergessene Wut peitschte ihn auf. Was für ein Narr war er gewesen, sich vor der Welt zu verstecken und wie ein schwitzender Bauer in der Erde zu graben!
Er ging zu einer Rüstung, die ein Stück abseits von den anderen stand, und seine Hand schloß sich um den Elfenbeingriff des Schwertes. Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er die Klinge durch die Luft sausen; seine Muskeln spürten den Kitzel der Waffe. Die Klinge bestand aus Silberstahl und war rasiermesserscharf. Sie war perfekt ausbalanciert. Er drehte sich zum Abt um – und wo er früher seinen Meister gesehen hatte, sah er jetzt nur noch einen alten Mann mit wässrigen Augen.
»Diese Aufgabe … ist Tenaka Khan darin verwickelt?«
»Ja, mein Sohn.«
»Nenne mich nicht so, Priester! Nie wieder. Ich tadle dich nicht – ich war der Narr, daß ich an dich geglaubt habe. Schön, ich werde mit deinen Priestern kämpfen, aber nur, weil es meinen Freunden hilft. Aber versuche nicht, mir Befehle zu erteilen.«
»Ich werde nicht in der Lage sein, dir Befehle zu erteilen, Decado. Du bist gerade zu deiner eigenen Rüstung gegangen.«
»
Meine Rüstung?«
»Erkennst du die Rune auf dem Helm?«
»Es ist die Zahl Eins in der Schrift der Alten.«
»Es war Serbitars Rüstung. Du wirst sie tragen.«
»Er war der Anführer, nicht wahr?«
»Wie du es sein wirst.«
»Das ist also mein Los«, sagte Decado, »einen bunt zusammengewürfelten Haufen von Priestern anzuführen, die Krieg spielen. Na schön, ich kann genausogut mit einem Schwert umgehen wie jeder andere.«
Decado begann zu lachen. Der Abt schloß die Augen und sprach lautlos ein Gebet, denn hinter dem Lachen spürte er die Qualen von Decados gemarterter Seele. Verzweiflung packte den Priester, und er verließ den Raum, verfolgt von irrem Gelächter.
Was hast du getan, Abaddon? fragte er sich.
Tränen standen in seinen Augen, als er sein Zimmer betrat, wo er auf die Knie fiel.
Decado stolperte aus dem Gewölbe und kehrte in seinen Garten zurück, ungläubig die ordentlichen Reihen von Gemüse anstarrend, die gestutzen Hecken und die sorgfältig beschnittenen Bäume.
Er ging zu seiner Hütte und stieß die Tür auf.
Vor weniger als einer Stunde war dies sein Zuhause gewesen, ein Zuhause, das er liebte. Er war zufrieden gewesen. Jetzt war die Hütte nur noch schäbig, und er verließ sie und ging zu seinem Blumengarten. Die weiße Rose trug drei neue Knospen. Zorn wallte in ihm auf, und er packte die Pflanze, um sie auszureißen. Doch dann hielt er inne und ließ sie langsam wieder los, starrte zuerst auf seine Hand, dann auf die Pflanze. Nicht ein Dorn hatte ihn verletzt. Sanft glättete er die zerdrückten Blätter und begann zu schluchzen, sinnlose Laute, aus denen sich langsam Worte formten.
»Es tut mir leid«, sagte er zu seiner Rose.
Die Dreißig versammelten sich im unteren Hof, wo sie ihre Pferde sattelten. Die Tiere besaßen noch ihr Winterfell, doch sie waren eine kräftige Bergrasse und konnten laufen wie der Wind. Decado suchte sich eine Fuchsstute aus, sattelte sie rasch und schwang sich auf ihren Rücken. Den weißen Mantel drapierte er nach Art des Drachen hinter sich über dem Sattel. Serbitars Rüstung paßte ihm perfekt; sie fühlte sich geschmeidig an, wie eine zweite Haut.
Der Abt Abaddon stieg in den Sattel eines kastanienbraunen Wallachs und ritt an Decados Seite.
Decado schwang sich im Sattel herum und beobachtete die Krieger-Priester, die schweigend auf die Pferde stiegen. Er mußte zugeben, daß sie sich geschmeidig bewegten. Jeder richtete seinen Mantel genauso, wie Decado es getan hatte. Abaddon betrachtete nachdenklich seinen einstigen Schüler; Decado hatte sich glatt rasiert und sein langes, dunkles Haar im Nacken zusammengebunden. Seine Augen strahlten voller Leben, und auf seinen Lippen lag ein beinahe spöttisches Lächeln.
In der Nacht zuvor war Decado seinen Hauptleuten vorgestellt worden: Acuas, dem Herzen der Dreißig, Balan, den Augen der Dreißig, und Katan, der Seele der Dreißig.
»Wenn ihr Krieger sein wollt«, hatte Decado ihnen erklärt, »dann
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