Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
soweit ist«, versprach sie.
»Wir werden gar nichts sehen. Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist, und laß uns unseren Frieden mit Ceska machen. Wir wollen dich hier nicht«, rief Vorak.
»Ach, du sprichst jetzt wohl für alle, was, Vorak?« Rayvan stieg von der Empore und marschierte auf den Mann zu. Er schluckte schwer, als sie drohend vor ihm stand; dann packte sie ihn am Kragen und schleuderte ihn gegen die Wand. »Sieh hinauf und sage mir, was du siehst«, befahl sie.
»Es ist eine Wand, Rayvan, mit einem Bild darauf. Jetzt laß mich los!«
»Das ist nicht einfach nur ein Bild, du Feigling! Das ist Druss! Das ist der Mann, der sich Ulrics Horden entgegenstellte. Und er hat sich nicht die Mühe gemacht, die Feinde zu zählen. Du machst mich krank!«
Sie ließ ihn los, ging zurück zur Empore und wandte sich an die Menge. »Ich könnte auf Vorak hören. Ich könnte meine sechshundert Mann nehmen und wieder in den Bergen verschwinden. Aber ich weiß, was dann geschehen würde – ihr würdet alle getötet. Ihr habt keine andere Wahl als zu kämpfen.«
»Wir haben Familien, Rayvan«, protestierte ein anderer.
»Ja, und auch sie werden sterben.«
»Das sagst du!« rief der Mann. »Aber wir werden mit Sicherheit getötet, wenn wir uns der Legion widersetzen.«
»Dann macht, was ihr wollt«, fuhr sie auf. »Aber geht mir aus den Augen – alle! Früher gab es einmal Männer in diesem Land. Hinaus!«
Petar drehte sich an der Tür noch einmal um. »Beurteile uns nicht zu streng, Rayvan«, bat er.
»Hinaus!« schrie sie. Sie ging zum Fenster und blickte über die Stadt hinweg, die in der Frühlingssonne schimmerte. Eine schöne Stadt, aber nicht zu verteidigen, denn sie hatte keine Stadtmauer. Rayvan stieß eine Reihe von Verwünschungen aus, was sie mit seltener Kunstfertigkeit beherrschte. Danach fühlte sie sich etwas besser.
Draußen auf den gewundenen Straßen und freien Plätzen drängten sich Menschen zusammen, und obwohl Rayvan ihre Worte nicht hören konnte, wußte sie, worum sich alle Gespräche drehten.
Unterwerfung. Die Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Und hinter den Worten das treibende Gefühl: Angst!
Was war mit den Leuten los? Hatte Ceskas Schreckensherrschaft den Menschen ihre Kraft geraubt? Rayvan drehte sich um und starrte das verblassende Mosaik an. Druss die Legende, kräftig gebaut und stark, mit der Axt in der Hand. Die Skoda-Berge im Hintergrund schienen den Mann widerzuspiegeln: weißhäuptig und unbezwingbar.
Rayvan betrachtete ihre Hände: kurz, kräftig und schwielig. Jahre der Arbeit – harter Knochenarbeit – hatten ihnen die Schönheit genommen. Sie war froh, daß es keinen Spiegel gab. Einst war sie ›das Mädchen aus den Bergen‹ gewesen, mit schmaler Taille und mit Blumen bekränzt. Aber die Jahre – so gute Jahre – waren nicht besonders freundlich zu ihr gewesen. Ihr dunkles Haar war nun mit Silber durchwirkt, und ihr Gesicht war hart wie Granit von Skoda. Nur wenige Männer blickten sie noch begehrlich an, was ihr nach zwanzig Jahren Ehe und neun Kindern jedoch recht war.
Sie kehrte zum Fenster zurück und blickte über die Stadt hinweg auf die Berge. Aus welcher Richtung würde der Feind kommen? Und wie sollte sie ihm begegnen? Ihre Männer waren zuversichtlich. Hatten sie nicht mehrere hundert Soldaten besiegt und dabei selbst nur vierzig Mann verloren? Das hatten sie tatsächlich – aber die Feinde waren überrascht worden, und außerdem waren sie ein feiger Haufen gewesen. Diesmal würde es anders aussehen.
Rayvan dachte lange und angestrengt über die bevorstehende Schlacht nach.
Sie werden uns in Stücke hauen! dachte sie und fluchte, als sie sich erinnerte, wie die Soldaten ihr Land überrannt und ihren Mann und zwei ihrer Söhne abgeschlachtet hatten. Und die Menge hatte zugeschaut, verängstigt und eingeschüchtert, bis Rayvan, mit einem gekrümmten Fleischmesser bewaffnet, vorgestürzt war und es in die Hüfte des Offiziers gerammt hatte.
Dann war die Hölle losgebrochen.
Aber jetzt … jetzt war es Zeit, für den Tanz zu bezahlen. Sie ging durch den Saal und blieb mit in die Seite gestemmten Armen vor dem Mosaik stehen.
»Ich habe immer damit geprahlt, von dir abzustammen, Druss«, sagte sie. »Aber das stimmt nicht, soweit ich weiß. Doch ich wünschte, es wäre so! Mein Vater hat immer von dir gesprochen. Er war Soldat in Delnoch und hat Monate damit verbracht, die Chroniken des Bronzegrafen zu studieren. Er wußte mehr über dich als
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