Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
jeder andere. Ich wünschte, du könntest zurückkommen … komm von deiner Wand herunter! Die Bastarde würden dich nicht aufhalten. Du würdest nach Drenan marschieren und Ceska die Krone vom Kopf reißen. Ich kann das nicht, Druss. Ich weiß nicht das Geringste vom Krieg. Und ich habe auch keine Zeit, es zu lernen.«
Knarrend öffnete sich die Tür.
»Rayvan?«
Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Sohn Lucas, der einen Bogen in der Hand hielt.
»Was gibt es?« fragte sie.
»Reiter, etwa fünfzig, sind auf dem Weg in die Stadt.«
»Verflucht! Wie sind sie an den Spähern vorbeigekommen?«
»Das weiß ich nicht. Lake sammelt alle Männer, die er finden kann.«
»Wieso nur fünfzig?«
»Sie schätzen uns offenbar nicht sehr hoch ein«, antwortete Lucas grinsend. Er sah gut aus mit seinen dunklen Haaren und den grauen Augen. Neben Lake war er der beste ihrer Nachwuchskrieger, wie sie wußte.
Sie verließen den Saal und gingen durch den marmorgepflasterten Flur auf die breiten Treppen hinaus, die zur Straße führten. Die Neuigkeit hatte sich bereits herumgesprochen, und Vorak erwartete sie mit mehr als fünfzig Kaufleuten im Rücken.
»Das ist es, Rayvan!« rief er, als sie in den Sonnenschein hinaustrat. »Der Krieg ist vorbei.«
»Was soll das heißen?« fragte sie, mühsam an sich haltend.
»Du hast damit angefangen – es ist deine Schuld. Jetzt werden wir dich ihnen ausliefern.«
»Laß mich ihn töten«, flüsterte Lucas und griff nach einem Pfeil.
»Nein!« zischte Rayvan. Sie suchte mit den Augen die gegenüberliegenden Häuser ab – in jedem Fenster lag ein Bogenschütze mit gespannter Waffe. »Geh zurück in den Saal und nimm den Ausgang zur Bäckergasse. Hol Lake, und dann seht zu, daß ihr nach Vagria kommt. Wenn ihr könnt, rächt mich eines Tages.«
»Ich verlasse dich nicht, Mutter.«
»Du tust, was ich dir sage!«
Er fluchte; dann aber zog er sich rückwärts ins Innere des Gebäudes zurück. Rayvan stieg langsam die Stufen hinunter. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die grauen Augen fest auf Vorak gerichtet. Er wich zurück.
»Bindet sie!« rief er, und mehrere Männer stürzten vor und fesselten ihr die Arme auf dem Rücken.
»Ich werde zurückkommen, Vorak. Ich werde aus dem Grab zurückkommen«, versprach sie. Er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Sie gab keinen Laut von sich, obwohl ihr Blut aus der aufgesprungenen Lippe rann. Sie zerrten Rayvan durch die Menge hinaus aus der Stadt auf die Ebene, wo die Reiter bereits näher kamen. Der Anführer war ein großer Mann mit grausamem Gesicht. Er stieg vom Pferd, und Vorak rannte zu ihm.
»Wir haben die Verräterin gefangengenommen, Herr. Sie hat die Rebellion angeführt. Wir anderen sind unschuldig.«
Der Mann nickte und ging auf Rayvan zu. Sie starrte in seine schräggestellten, violetten Augen.
»Aha«, sagte sie leise, »selbst die Nadir reiten für Ceska, was?«
»Dein Name, Weib!« herrschte er sie an.
»Rayvan. Merk ihn dir gut, Barbar, denn meine Söhne werden ihn dir ins Herz schnitzen.«
Er wandte sich an Vorak. »Was sollen wir deiner Meinung nach mit ihr tun?«
»Tötet sie! Statuiert ein Exempel. Tod allen Verrätern!«
»Aber du bist treu?«
»Ja, das bin ich. War ich immer. Ich war es auch, der zuerst von den Rebellen in Skoda berichtete. Du müßtest von mir gehört haben – ich bin Vorak.«
»Und die Männer, die bei dir sind – sind sie auch treu?«
»Es gibt keine besseren. Alle sind Ceska treu ergeben.«
Der Mann nickte und wandte sich wieder an Rayvan. »Wie kam es, daß sie dich gefangennahmen, Weib?«
»Wir alle machen Fehler.«
Der Mann hob die Hand, und dreißig weißgekleidete Reiter schwärmten aus, um die Menge zu umzingeln.
»Was tust du?« fragte Vorak.
Der Mann zog sein Schwert und prüfte die Klinge mit dem Daumen. Dann wirbelte er auf dem Absatz herum; die Klinge sauste nieder, und Voraks Kopf fiel von den Schultern, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
Der Kopf rollte dem Mann vor die Füße, während der Körper zusammensackte. Blut quoll aus dem Halsstumpf. Die Männer fielen auf die Knie und flehten um Gnade.
»Ruhe!« brüllte ein Riese mit schwarzer Maske, der auf einem kastanienbraunen Wallach saß. Der Lärm verebbte; nur hier und dort waren noch einzelne Schluchzer zu hören.
»Ich habe nicht den Wunsch, euch alle zu töten«, sagte Tenaka Khan. »Also werden wir euch ins Tal schaffen und dort freilassen, damit ihr euren Frieden mit der Legion schließen
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