Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Pferd, und der alte Mann ging auf ihn zu. Hinter ihm drängelten sich etwa zwanzig Kinder.
»Hast du mir etwas zu sagen, mein Freund?«
»Ich bin nicht dein Freund, du Schlächter! Ich wollte nur, daß du diese Kinder siehst.«
»Jetzt habe ich sie gesehen. Es sind gute Kinder.«
»Gut, nicht wahr? Ihre Eltern waren auch gut, aber jetzt verfaulen sie im Teufelsgrinsen. Und wofür? Damit du mit deinem blanken Schwert spielen kannst!«
»Ist das alles?«
»Nein, verflucht noch mal! Was geschieht mit diesen Kindern, wenn die Bastarde kommen? Ich war früher Soldat, und ich weiß, daß ihr diese Höllenbrut nicht aufhalten könnt – sie werden in die Stadt kommen und alles umbringen, was lebt. Was wird dann aus diesen Kindern?«
Ananais stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken, damit es sich in Bewegung setzte.
»So ist es richtig!« rief der alte Mann. »Reite du nur vor dem Problem davon. Aber vergiß ihre Gesichter nicht – hörst du?«
Ananais ritt durch die gewundenen Straßen, bis er zum Rathaus gelangte. Ein junger Mann kam auf ihn zu, sich um sein Pferd zu kümmern, und Ananais stieg die Marmorstufen empor.
Rayvan saß allein in der Halle und starrte – wie sie es oft tat – die verblaßte Wandmalerei an. Sie hatte in den letzten Tagen an Gewicht verloren. Sie trug wieder das Kettenhemd und den breiten Gürtel; ihr dunkles Haar war zurückgekämmt und im Nacken zusammengebunden.
Sie lächelte, als sie Ananais sah, und winkte ihn zu sich. »Willkommen, Schwarzmaske«, sagte sie. »Wenn du schlechte Nachrichten bringst, behalte sie noch eine Weile für dich. Ich habe selbst genug davon.«
»Was ist passiert?« fragte Ananais. Sie machte eine abwehrende Handbewegung und schloß die Augen, unfähig zu sprechen. Dann holte sie tief Luft und atmete langsam aus. »Scheint die Sonne?« fragte sie.
»Ja.«
»Schön. Ich sehe so gern die Sonne auf den Bergen. Sie verheißt das Leben. Hast du schon gegessen?«
»Nein.«
»Dann laß uns in die Küche gehen und etwas suchen. Wir essen dann oben im Turmgarten.«
Sie setzten sich in den Schatten eines großen, blühenden Busches. Rayvan hatte einen Laib Brot und etwas Käse mitgenommen, doch keiner von ihnen aß. Das Schweigen selbst war tröstlich.
»Wie ich gehört habe, hattest du Glück, mit dem Leben davonzukommen«, sagte Rayvan schließlich. »Was macht die Hüfte?«
»Bei mir heilt alles schnell. Die Wunde war nicht tief, und die Naht wird halten.«
»Mein Sohn Lucas – er starb letzte Nacht. Wir mußten ihm das Bein abnehmen, Wundbrand.«
»Das tut mir leid«, sagte Ananais lahm.
»Er war sehr tapfer. Jetzt sind nur noch Lake und Ravenna übrig. Bald wird niemand mehr da sein. Warum mußte alles so kommen, Schwarzmaske? Kannst du mir das sagen?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben einen Verrückten an die Macht kommen lassen.«
»Wirklich? Manchmal denke ich, daß ein Mensch nur soviel Macht haben kann, wie wir zulassen. Kann Ceska Berge versetzen? Kann er die Sterne auslöschen? Kann er Regen machen? Er ist auch nur ein Mensch, und wenn niemand ihm gehorchte, würde er stürzen. Aber alle gehorchen, nicht wahr? Es heißt, daß er eine Armee von vierzigtausend Mann hat. Männern! Drenai-Männern, die bereit sind, gegen andere Drenai-Männer zu marschieren. In den Nadirkriegen wußten wir wenigstens, wer unser Feind war. Jetzt haben wir keinen Feind. Nur untreue Freunde.«
»Was soll ich dazu sagen?« erwiderte Ananais. »Ich habe keine Antworten. Du hättest Tenaka fragen sollen. Ich bin nur ein Krieger. Ich erinnere mich an einen Lehrer, der immer sagte, alle Jäger dieser Welt hätten Augen, die nach vorn blicken: Löwen, Falken, Wölfe, Menschen. Und alle Gejagten haben die Augen an den Seiten, damit sie eine bessere Chance haben, den Jäger zu erspähen. Er sagte, der Mensch würde sich nicht vom Tiger unterscheiden. Wir sind die Killer der Natur, und wir haben ein großes Verlangen zu töten. Selbst die Helden, deren wir uns erinnern, spiegeln unsere Liebe zum Krieg wider. Druss, die größte Tötungsmaschine aller Zeiten – es ist sein Bild, das du im Ratssaal immer betrachtest.«
»Das stimmt«, gab Rayvan zu. »Aber es gibt einen Unterschied zwischen Druss und Ceska. Die Legende hat stets dafür gekämpft, daß andere frei sein konnten.«
»Mach dir doch nichts vor, Rayvan. Druss kämpfte, weil er es liebte zu kämpfen, weil er es gut verstand! Studiere sein Leben. Er ging nach Osten und kämpfte für den Tyrannen Gorben.
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