Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Caphas hatte keinen Blick dafür. Er sehnte sich nach der Zuflucht, die der Tempel bot und nach den drogenberauschten Orgien. Die Musik der Folterkammer, der süße Klang des Flehens seiner Opfer. Es war die Freude, die er in diesem öden Land vermißte. Das Lachen.
Zwischen einem Folterer und seinem Opfer entwickelte sich eine Beziehung besonderer Art. Zuerst waren da nur Trotz und Haß. Dann Tränen und Schreie. Dann Flehen. Und schließlich, nachdem der Wille des Opfers gebrochen war, eine Art Liebe. Caphas fluchte laut und stand auf, denn seine Erregung machte ihn zornig. Er öffnete den kleinen Lederbeutel, den er an der Hüfte trug, und nahm ein längliches Karassim-Blatt heraus. Er rollte es zu einer Kugel zusammen, steckte es in den Mund und begann langsam zu kauen. Als die Säfte wirkten und seine Gedanken zu verschwimmen begannen, wurde er der Träume der schlafenden Soldaten gewahr und der langsamen, hungrigen Gedanken eines Dachses, der rechts von ihm durchs Gebüsch huschte. Er schirmte sie ab und zwang eine Erinnerung aus der jüngsten Vergangenheit herbei, als sie ein kleines Mädchen in die Folterkammer gebracht hatten …
Unbehagen überfiel ihn, und er riß sich los, zurück in die Gegenwart. Sein Blick zuckte zu den dunklen Schatten zwischen den Bäumen.
Vor ihm wuchs ein strahlendes Licht, das schimmerte und die Gestalt eines Kriegers in silberner Rüstung annahm. Ein weißer Mantel war um seine Schultern drapiert, der in den Winden des Geistes flatterte.
Caphas schloß die Augen und verließ seinen Körper, das schwarze Seelen-Schwert in der Hand, den dunklen Schild am Arm. Der Krieger parierte den Hieb und trat einen Schritt zurück.
»Komm und stirb«, lud Caphas ihn ein. »Zwölf von euch sind bereits tot. Komm und leiste ihnen Gesellschaft.«
Der Krieger antwortete nicht, und nur seine blauen Augen waren durch die Schlitze in dem silbernen Visier zu sehen. Die Augen blickten gelassen, und die ruhige Zuversicht, die aus ihnen strahlte, drang Caphas ins Herz. Sein Schild schrumpfte.
»Du kannst mich nicht anrühren«, kreischte er. »Der Geist ist stärker als die Quelle. Du bist mir gegenüber machtlos!«
Der Krieger schüttelte den Kopf.
»Verdammt sollst du sein!« rief Caphas, als sein Schild verschwand. Er griff an, wild um sich schlagend.
Acuas parierte den Schlag mühelos und stieß dann seine Klinge tief in die Brust des Templers. Der Mann rang nach Luft, als das eisige Schwert in sein geistiges Fleisch schnitt. Dann rann seine Seele aus ihm heraus, und hinter ihm sank sein Körper zu Boden.
Acuas verschwand. Zweihundert Schritt entfernt im Wald öffnete er die Augen seines Körpers und fiel in die helfenden Arme von Decado und Katan.
»Alle Tempelwächter sind tot«, sagte er.
»Gute Arbeit!« lobte Decado.
»Ich fühle mich von ihrer Bosheit ausgelaugt. Selbst sie zu berühren ist, als wäre man verflucht.«
Decado ging schweigend zurück zu Ananais, der mit hundert Kriegern wartete. Thorn hockte zu seiner Linken, Galand zu seiner Rechten. Fünfzig Krieger waren Männer der Legion, deren Ananais sich nicht ganz sicher war.
Obwohl er Decados Instinkten vertraute, war er den Gaben der Dreißig gegenüber noch immer mißtrauisch. Heute Abend würde er sehen, ob diese Männer wirklich hinter ihm standen. Er war sich ihrer Schwerter in seiner Nähe unangenehm bewußt.
Ananais führte die Truppe zum Waldrand. Dahinter lagen die Zelte der Delnoch-Armee – Hunderte an der Zahl – von denen jedes sechs Mann beherbergte. Jenseits der Zelte waren die Pferde angepflockt.
»Ich will Breight lebend, und ich will die Pferde«, flüsterte Ananais. »Galand, nimm dir fünfzig Mann und hole die Pferde. Die anderen folgen mir.« Er schlich tief geduckt voran; seine dunkelgekleideten Krieger schwärmten hinter ihm aus.
Als sie zu den Zelten kamen, verteilten sie sich; lautlos hoben Bewaffnete die Zeltklappen und schlichen hinein. Dolche wurden in die Kehlen der Schlafenden gestoßen, und die Männer starben ohne einen Laut. Am Rand des Lagers wachte ein schlafender Soldat vom Druck seiner vollen Blase auf; er rollte sich aus seiner Decke und trat hinaus an die Nachtluft. Als erstes sah er einen schwarz maskierten Riesen, der sich auf ihn stürzte, gefolgt von zwanzig mit Schwertern Bewaffneten. Er schrie einmal auf … und starb.
Plötzlich herrschte überall Chaos, als Männer mit Schwertern in den Fäusten aus den Zelten stürmten. Ananais schlug zwei Krieger aus dem Weg. Er
Weitere Kostenlose Bücher