Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Seine Armee vernichtete Städte, Dörfer, ganze Völker. Druss war ein Teil davon, und er hätte keine Entschuldigung dafür gehabt. Und auch du solltest nicht versuchen, ihn zu rechtfertigen.«
»Willst du damit sagen, daß es niemals wahre Helden gab?«
»Ich würde einen Helden selbst dann nicht erkennen, würde er mich in den Hintern treten! Hör gut zu, Rayvan, in jedem von uns steckt ein Tier. Wir tun unser Bestes im Leben, aber oft sind wir gemein oder kleinlich oder unnötig grausam. Wir wollen nicht so sein, aber so sind wir nun mal. An die meisten Helden erinnern wir uns, weil sie gesiegt haben. Um zu siegen, muß man skrupellos sein. Zielstrebig. Druss war so, und deshalb hatte er keine Freunde – nur Bewunderer.«
»Können wir siegen, Ananais?«
»Nein. Aber wir können dafür sorgen, daß Ceska so leidet, daß jemand anders vielleicht siegt. Wir werden Tenakas Rückkehr nicht mehr erleben. Ceska ist bereist unterwegs. Aber wir müssen ihn aufhalten, ihm Verluste zufügen, die Aura der Unbesiegbarkeit vernichten, die er um seine Bastarde geschaffen hat.«
»Aber selbst der Drache konnte nicht gegen diese Ungeheuer bestehen.«
»Der Drache wurde verraten und auf freiem Feld niedergemacht. Und viele von ihnen waren alte Männer. Sie waren nicht der wahre Drache. Wir sind der wahre Drache – und wir werden sie leiden lassen, bei den Göttern!«
»Lake hat einige Waffen entwickelt, die er dir gern zeigen möchte.«
»Wo ist er?«
»In den alten Ställen im Südviertel. Aber du solltest erst ein wenig ruhen. Du siehst erschöpft aus.«
»Das mache ich.« Er stand schwerfällig auf, taumelte leicht und mußte lachen. »Ich werde alt, Rayvan.« Er ging ein paar Schritte; dann machte er kehrt und legte ihr seine riesige Hand auf die Schulter. »Ich kann nicht gut Anteilnahme zeigen, Rayvan. Aber es tut mir leid um Lucas. Er war ein guter Mann. Er hat dir Ehre gemacht.«
»Geh und ruh dich aus. Die Tage werden kürzer, und du wirst deine Kraft brauchen. Ich verlasse mich auf dich – wir alle tun das.«
Nachdem er gegangen war, trat sie ans Fenster und blickte auf die Berge hinaus.
Sie fühlte sich dem Tod sehr nahe. Und er war ihr gleichgültig.
Tenaka Khan schäumte vor Wut. Seine Hände waren mit Lederriemen straff gefesselt, sein Körper an den Stamm einer schlanken Ulme gebunden. Vor ihm saßen fünf Männer um ein Lagerfeuer und durchwühlten seine Satteltaschen. Sie hatten seine kleine Börse mit Gold entdeckt, die jetzt neben dem Anführer lag – einem einäugigen, dicken und mürrischen Schurken. Tenaka blinzelte das Blut fort, das ihm ins rechte Auge rann und verschloß seinen Geist vor den Schmerzen, die seine Prellungen verursachten.
Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, als er in den Wald ritt. Ein Stein aus einer Schleuder hatte ihn an der Schläfe getroffen, so daß er halb bewußtlos aus dem Sattel fiel. Aber sogar dann, als sich die Gesetzlosen auf ihn stürzten, hatte er sein Schwert gezogen und einen von ihnen getötet, ehe sie ihn mit Keulen und Stöcken zusammenschlugen. Die letzten Worte, die er hörte, ehe die Dunkelheit ihn umfing, waren: »Er hat meinen Bruder getötet – bringt ihn nicht um, ich will ihn lebend.«
Und jetzt war er hier, nicht einmal vier Tagesreisen von Skoda entfernt, an einen Baum gefesselt und nur wenige Augenblicke von einem schmählichen Tod entfernt. Enttäuschung und Zorn nagten an ihm, und er zerrte an den Stricken, doch sie waren fachkundig geknotet. Seine Beine schmerzten, und sein Rücken brannte.
Der einäugige Gesetzlose stand auf und ging zu Tenaka. Sein Gesicht war eine bittere Maske.
»Du verfluchter Barbar – du hast meinen Bruder ermordet!«
Tenaka schwieg.
»Na, dafür wirst du büßen. Ich werde dich in kleine Stücke schneiden, dein Fleisch auf dem Feuer rösten und dich dann zwingen, es zu essen. Wie gefällt dir das?«
Tenaka beachtete ihn nicht, und die Faust des Mannes schoß vor. Tenaka spannte die Bauchmuskeln genau in dem Moment, als der Schlag ihn traf, doch der Schmerz war trotzdem furchtbar. Sein Kopf fiel zur Seite. Der Mann schlug ihm ins Gesicht.
»Sprich mit mir, du Miststück!« zischte der Gesetzlose.
Tenaka spuckte Blut und fuhr sich mit der Zunge über die geschwollene Lippe.
»Du wirst schon mit mir reden! Ehe die Sonne untergeht, wirst du mir ein süßes Lied singen.«
»Stich ihm die Augen aus, Baidur!« sagte einer der Gesetzlosen.
»Nein. Ich will, daß er alles sieht.«
»Dann
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