Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
Egan«, berichtete sie Waylander. »Er ist müde und hungrig und denkt an eine Frau, die er in einer Kneipe an Mauer Zwei kennt. Und du hast recht, er hat deine Beschreibung. Zwanzig seiner Männer sind hinter uns, im Südwesten. Sie haben Befehl, dich zu fassen.«
»Was jetzt?« fragte Angel.
Waylanders Miene war finster. »Durch die Berge«, sagte er schließlich.
»Die Sathuli sind gute Kämpfer, und sie mögen keine Fremden«, betonte Senta.
»Ich bin schon früher durchgekommen. Um mich zu töten, müssen sie mich erst schnappen.«
»Du willst allein gehen?« fragte Miriel leise.
»Das ist das beste«, antwortete er. »Du und die anderen, ihr geht nach Delnoch. Hinter den Bergen stoße ich wieder zu euch.«
»Nein. Wir wollten zusammenbleiben. Meine Gabe kann uns sicher leiten.«
»Das stimmt«, meinte Angel.
»Vielleicht«, gab Waylander zu, »andererseits wirbeln fünf Reiter mehr Staub auf als einer. Fünf Pferde machen mehr Lärm als eins. Die hohen Pässe verstärken jedes Geräusch. Einen fallenden Stein kann man manchmal fast einen Kilometer weit hören. Nein. Ich gehe allein.« Miriel wollte etwas sagen, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Keine weitere Diskussion, Miriel«, sagte er lächelnd. »Ich habe mehr als mein halbes Leben lang allein gejagt. Allein bin ich am stärksten. Geht nach Delnoch, und wenn ihr die Festung hinter euch habt, wendet euch nach Norden. Ich werde euch finden.«
»Ich werde bei dir sein«, flüsterte sie, lehnte sich an ihn und küßte ihn auf die Wange.
»Immer«, erwiderte er.
Waylander ging zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und stieß dem Wallach die Fersen in die Flanken. Der Hund rannte neben ihnen her, als sie die Hügelkuppe erreichten. Die Lanzenreiter waren jetzt winzige Punkte in der Ferne, und Waylander dachte keine Augenblick an sie, als er sich den hohen Gipfeln von Delnoch zuwandte.
Allein.
Seine Lebensgeister hoben sich. So sehr er Miriel liebte, empfand er doch eine große Erleichterung, ein Gefühl der Freiheit von der Last, Gefährten zu haben. Er warf einen Blick auf den Hund hinunter und lachte leise. »Nicht ganz allein, was, Scar?« Der Hund legte den Kopf auf eine Seite und rannte weiter, schnüffelte am Boden, auf der Suche nach Kaninchenspuren. Waylander holte tief Atem. Die Luft war frisch und kalt und wehte von den schneebedeckten Gipfeln herab. Die Sathuli würden jetzt ihre Winterlager aufschlagen; ihre Gedanken waren weit weg von Überfällen und Krieg. Mit Geschick und etwas Glück müßte er die Hochpässe und die widerhallenden Schluchten durchqueren können, ohne daß sie davon erführen.
Etwas Glück? Er dachte an die vor ihm liegende Route – die schmalen, eisbedeckten Pfade, die trügerischen Hänge, die gefrorenen Wasserläufe, das Reich von Wolf, Bär und Berglöwe.
Angst regte sich in ihm – und er lachte laut auf. Denn wenn die Angst einsetzte, fühlte er sein Herz schlagen, das Blut in Adern und Muskeln kreisen, die Kraft in seinen Armen und seiner Brust. Ob es richtig oder falsch war, er wußte, dies war es, wofür er geboren war, der einsame Ritt in die Gefahr, umgeben von Feinden. Denn was war Angst, wenn nicht der Wein des Lebens? Und der Geschmack berauschte Waylander erneut.
In den vergangenen fünf Jahren war ich tot, dachte er. Ein wandernder Leichnam, wenn ich es auch nicht wußte. Er dachte an Danyal und merkte, daß er sich nun an die Freuden ihres Lebens erinnern konnte, ohne die scharfe, rauhe Bitterkeit über ihren Tod zu spüren. Die Berge ragten grau und drohend vor ihm auf.
Und der Mann ritt weiter.
Miriel saß schweigend im Garten des Wirtshauses und starrte auf die kolossalen Mauern von Dros Delnoch. Die Reise zur Festung war ohne Zwischenfall verlaufen, abgesehen von den Zankereien zwischen Angel und Belash. Zuerst hatte Miriel Mühe, den Haß zu begreifen, der in dem Gladiator schwelte; dann hatte sie ihre Gabe eingesetzt. Sie schauderte bei der Erinnerung und dachte an etwas anderes. Ihr Vater durchquerte jetzt bereits das Land der Sathuli. Ein wildes, unabhängiges Volk, das vor mehr als dreihundert Jahren über das Meer aus den Wüsten Ventrias gekommen war, um sich in den Delnochbergen anzusiedeln. Sie wußte wenig über ihre Geschichte, nur daß sie an die Worte eines alten Propheten glaubten und ihres Glaubens wegen in ihrem Heimatland verfolgt worden war. Sie waren ein einzelgängerisches Volk, hart und zäh im Kampf, und lagen in ständigem Krieg mit den
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