Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
unbekümmert gearbeitet und sich immer wieder gefragt, wann er ihn wohl leibhaftig prüfen käme. Er sah, wie er mit wiegendem Gang den kleinen Garten durchquerte, groß und würdevoll, ein schönes, von Falten gefurchtes Gesicht, weißes, volles Haar. Adamsberg wollte ihm schon die Hand geben, als er merkte, daß der Mann keinen rechten Unterarm mehr hatte. Er hob seine Maurerkelle als Willkommensgruß und blickte ihn ruhig und ausdruckslos an.
    »Ich kann Ihnen mein Lot borgen«, sagte der Alte höflich.
    »Ich komme schon zurecht«, antwortete Adamsberg und paßte einen neuen Mauerstein ein. »Bei uns hat man die Mauern immer nach Augenmaß hochgezogen, und sie stehen noch. Schief zwar, aber sie stehen.«
    »Sind Sie Maurer?«
    »Nein, ich bin Bulle. Polizeikommissar.«
    Der alte Mann lehnte seinen Stock gegen die neue Mauer und knöpfte seine Strickjacke bis zum Kinn zu, das gab ihm Zeit, die Information zu verarbeiten.
    »Fahnden Sie nach Rauschgift? Solche Sachen?«
    »Leichen. Ich bin bei der Mordbrigade.«
    »Gut«, sagte der Alte nach einem leichten Schock. »Ich war beim Parkett.«
    Er zwinkerte Adamsberg zu.
    »Nicht beim Börsenparkett natürlich, nein, ich hab Parkettfußböden verkauft.«
    Wohl ein Spaßvogel gewesen, früher, dachte Adamsberg, während er seinem neuen Nachbarn verständnisvoll zulächelte, der sich offenbar ohne Zutun anderer über eine Kleinigkeit amüsieren konnte. Ein Spieler, eine Frohnatur, aber schwarze Augen, die einen unverhohlen musterten.
    »Eiche, Buche, Tannenholz. Im Bedarfsfall wissen Sie, an wen Sie sich wenden können. In Ihrem Haus gibt’s nur Terrakottafliesen.«
    »Ja.«
    »Das ist nicht so warm wie Parkett. Ich heiße Velasco, Lucio Velasco Paz. Firma Velasco Paz & Tochter.«
    Lucio Velasco lächelte breit, ließ dabei aber Adamsbergs Gesicht nicht aus den Augen, das er Millimeter für Millimeter genau inspizierte. Dieser Alte druckste doch herum, der hatte ihm doch irgendwas zu sagen.
    »Maria hat die Firma übernommen. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, erzählen Sie ihr also bloß keine Albernheiten, das mag sie gar nicht.«
    »Was denn für Albernheiten?«
    »Albernheiten über Gespenster zum Beispiel«, sagte der Mann und kniff seine schwarzen Augen zusammen.
    »Keine Sorge, ich kenne keine Albernheiten über Gespenster.«
    »Das sagt sich so, und dann kennt man eines Tages doch welche.«
    »Mag sein. Ihr Radio ist nicht richtig eingestellt. Soll ich das für Sie machen?«
    »Wozu?«
    »Damit Sie die Sendungen hören können.«
    »Nein, hombre. Deren Quatsch will ich nicht hören. In meinem Alter hat man das Recht erworben, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen.«
    »Natürlich«, sagte Adamsberg.
    Wenn der Nachbar unbedingt ein Radio ohne Ton in seiner Tasche herumschleppen und ihn hombre nennen wollte, bitteschön, es stand ihm frei.
    Der Alte ließ wieder ein Weilchen vergehen, sah prüfend zu, wie Adamsberg seine Mauersteine aneinandersetzte.
    »Sind Sie zufrieden mit diesem Haus?«
    »Sehr.«
    Lucio machte einen kaum hörbaren Scherz und fing laut an zu lachen. Adamsberg lächelte freundlich. Es lag etwas Jungenhaftes in seinem Lachen, während seine gesamte übrige Körperhaltung darauf hinzudeuten schien, daß er für das Schicksal der Menschen auf dieser Erde mehr oder weniger verantwortlich war.
    »Hundertfünfzig Quadratmeter«, fuhr er fort. »Ein Garten, ein Kamin, ein Keller, ein Holzschuppen. So was gibt’s in Paris nicht mehr. Haben Sie sich nicht gefragt, wieso Sie es für ein Butterbrot gekriegt haben?«
    »Weil es zu alt ist, nehme ich an, zu heruntergekommen.«
    »Und Sie haben sich nicht gefragt, wieso es nie abgerissen wurde?«
    »Es steht am Ende einer Gasse, es stört niemanden.«
    »Trotzdem, hombre. Seit sechs Jahren kein einziger Käufer. Hat Sie das nicht stutzig gemacht?«
    »Also eigentlich, Monsieur Velasco, macht mich kaum etwas stutzig.«
    Adamsberg strich den überstehenden Mörtel mit der Kelle ab.
    »Aber nehmen Sie mal an, es machte Sie stutzig«, beharrte der Alte. »Nehmen Sie mal an, Sie würden sich fragen, wieso das Haus nie einen Abnehmer fand.«
    »Weil die Toilette draußen ist. Das ertragen die Leute nicht mehr.«
    »Sie hätten eine Wand hochziehen können für einen Anbau, genau wie Sie es tun.«
    »Ich tue es nicht für mich. Es ist für meine Frau und meinen Sohn.«
    »Mein Gott, Sie werden doch nicht etwa eine Frau hier drin wohnen lassen?«
    »Ich glaube nicht. Sie werden nur ab und zu

Weitere Kostenlose Bücher