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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zurückkommt oder nicht. Noch ist er unentschlossen.«
    Adamsberg reichte ihm das zerknitterte Papier.
    »Das habe ich heute morgen bekommen.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Danglard, während er die Zeilen überflog.
    »Das ist normal, es ist ja auch Polnisch. Darin steht, daß die Krankenschwester kürzlich gestorben ist, Capitaine. Ganz klar ein Unfall. Sie ist in Warschau unter die Räder eines Autos geraten. Plattgemacht wie ein Eierkuchen, und zwar von einem Verkehrsrowdy, der bei Rot über die Ampel ist und die Straße vom Gehweg nicht unterscheiden konnte. Und man weiß auch, wer sie überfahren hat.«
    »Ein Pole.«
    »Ja. Aber nicht irgendein Pole.«
    »Ein betrunkener Pole.«
    »Sicher. Und was noch?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Ein alter Pole. Ein zweiundneunzigjähriger Pole. Die Greisenmörderin ist von einem Greis überfahren worden.«
    Danglard dachte einen Augenblick nach.
    »Und das amüsiert Sie wirklich?«
    »Sehr, Danglard.«
    Veyrenc sah, wie Adamsberg dem Commandant auf die Schulter klopfte, wie Lavoisier Retancourt umsorgte und Romain seinen Rückstand aufholte, er sah, wie Estalère mit Gläsern herumrannte und Noël mit seiner Bluttransfusion prahlte. All das ging ihn nichts an. Er war nicht hergekommen, um sich für die Leute zu interessieren. Er war gekommen, um die Sache mit seinen Haaren aus der Welt zu schaffen. Und er hatte sie aus der Welt geschafft.
     
    Dein Trauerspiel, Soldat, ist endlich nun vorbei,
    so gib dich deinen Träumen hin, jetzt bist du frei.
    Doch welch Bedauern noch hält dich an diesem Ort,
    warum fällt es so schwer, das kurze Abschiedswort?
     
    Ja, warum? Veyrenc zog an seiner Zigarette und beobachtete, wie Adamsberg, in jeder Hand eine Geweihstange, unauffällig wie ein Luftzug die Brigade verließ.
     
    O Götter,
    daß dieser menschlich Pulk mich lockt, seid mir nicht
    gram,
    verdrießen tut er mich, und doch: welch Seelencharme.
     
    Adamsberg ging zu Fuß durch die dunklen Straßen nach Hause. Tom würde er von Arianes Greueltaten kein Wort sagen, so früh durfte das Grausen nicht von seinem kindlichen Gemüt Besitz ergreifen. Dissoziierte Steinböcke gibt es im übrigen nicht. Nur die Menschen besitzen das Talent zu dieser Art Elend. Während Steinböcke ihre Schädelmasse unter ihren langen Hörnern aus dem Kopf wachsen lassen, genau wie die Hirsche. Was die Menschen hingegen nicht können. Man würde sich also an die Steinböcke halten.
    Da begriff das weise Kamel, das so viel gelesen hatte, seinen Irrtum. Doch der rothaarige Steinbock erfuhr nie, daß das Kamel ihn für einen Dreckskerl gehalten hatte. Da begriff der rothaarige Steinbock seinen Irrtum und gab zu, daß der braunhaarige Steinbock kein Dreckskerl war. Schon gut, sagte der braunhaarige Steinbock, gib mir zehn Centimes.
    In dem kleinen Garten angekommen, stellte Adamsberg das Hirschgeweih auf die Erde, um seine Schlüssel zu suchen. Sofort kam Lucio in die Dunkelheit hinaus und trat zu ihm unter den Haselnußstrauch.
    »Wie geht’s, hombre «
    Ohne eine Antwort abzuwarten, schlich Lucio zur Hecke, kam mit zwei Bieren zurück und öffnete sie. In seiner Tasche knisterte das Radio.
    »Und die Frau?« fragte er und reichte dem Kommissar eine Flasche. »Die, die noch nicht fertig war mit ihrem Werk. Hast du ihr ihren Zaubertrank gegeben?«
    »Ja.«
    »Und hat sie ihn getrunken?«
    »Ja.«
    »Das ist gut.«
    Lucio nahm ein paar Schlucke, dann wies er mit der Spitze seines Stocks auf den Boden.
    »Was schleppst du da mit dir herum?«
    »Einen Zehnender aus der Normandie.«
    »Lebendig oder bloß runtergefallen?«
    »Lebendig.«
    »Das ist gut«, bestätigte Lucio ein zweites Mal. »Du darfst die Stangen nie trennen.«
    »Ich weiß.«
    »Du weißt noch was anderes.«
    »Ja, Lucio. Der Schatten ist fort. Tot, erledigt, verschwunden.«
    Der Alte blieb einen Augenblick lang wortlos stehen, während er mit dem Hals der kleinen Flasche gegen seine Zähne klopfte. Er warf einen Blick auf Adamsbergs Haus, dann wandte er sich wieder dem Kommissar zu.
    »Und wie?«
    »Rate.«
    »Es heißt, nur ein alter Mann würde sie kaltmachen.«
    »Genau so ist es auch geschehen.«
    »Erzähl.«
    »Es ist in Warschau passiert.«
    »Vorgestern, als es zu dämmern anfing?«
    »Ja, warum?«
    »Erzähl.«
    »Es war ein zweiundneunzigjähriger polnischer Greis. Er hat sie plattgemacht, mit seinen beiden Vorderreifen.«
    Lucio dachte nach, rollte den Rand der Flasche über seine Lippen.
    »Ungefähr so«, sagte er und

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