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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kam die Polizei in die Gaststuben, so nur, um routinemäßig einen Rundblick auf die braven Kunden zu werfen. Emma Pischke war dann immer an der Tür, meldete wie ein Feldwebel ihre Gäste und sagte laut: »Kein Gauner darunter, Wachtmeester. Nur vom Wirtschaftswunder vagessene Künstler.«
    Es war eigentlich unbegreiflich, wie gerade Pietro Bossolo in diese Gesellschaft geriet. Er malte nicht, er dichtete nicht, er hieb nicht aus Stein Figuren, er hatte nicht einmal das Talent, abstrakt zu malen, obwohl dazu nur ein Pinsel, mehrere Farben und die Kenntnis von der Dummheit der Menschen gehören, also ein für jeden erschwingliches Kapital. Nein, Pietro Bossolo glänzte mit etwas, was seine Heimat ebenso berühmt gemacht hatte wie Caesar, Nudeln und Papagalli: Er sang.
    Die ›Dicke Emma‹ erkannte dieses Talent durch reinen Zufall. Das Schicksal wollte es, daß Bossolo sich auf einer Wanderschaft durch Schwabing gerade an dem Tag in die Wirtschaft Emma Pischkes verirrte, als diese ihren 64. Geburtstag feierte. Alle Gäste, von jeher eine große Familie, hatten Emma in ihre Mitte genommen und brachten Lobreden und Hochs auf sie aus, als Pietro erschien und schüchtern einen Campari verlangte. Er wollte auch schnell wieder gehen, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man in Deutschland wohl arbeiten und Geld verdienen kann, aber als Ausländer immer so etwas wie ein fauler Apfel am Stamm bleibt. Bei der ›Dicken Emma‹ war das anders. Ohne eine abfällige Bemerkung nahm man ihn in den Kreis der Feiernden auf, reichte ihm ein Glas Sekt und übte eine Toleranz, die Bossolo fast zu Tränen rührte. Er beschloß, bei der ›Dicken Emma‹ so etwas wie Heimat zu suchen. Ein Südländer brauchte seine Piazza, seine Mamma in irgendeiner Gestalt … in München ersetzte die Bahnhofshalle die Piazza, aber nach einer Mamma hatten sie alle Sehnsucht, und so waren sie ständig auf der Jagd nach einer Frau, die mehr als Bettgenossin war, die auch eine mütterliche Wärme ausströmte.
    »'n Italiener muß singen können!« sagte Emma Pischke, als jeder im Kreis etwas von seinem Talent dargeboten hatte. Der eine ein Gedicht, der andere ein Lied zur Laute. Der verkrachte Schauspieler Ernest Borlach deklamierte sogar den Monolog des Marc Anton von Shakespeare, sehr dramatisch, sehr kitschig, in vollendetem Schmierentheaterstil, aber der Beifall war enorm. Als Bossolo an die Reihe kam, drehte er verlegen sein Glas zwischen den Fingern. »Ick war dreimal an de Riviera … und imma habense jejubelt, die Italiener. Die können alle singen. Los, meen schwarzer Wuschelkopp … mach's Maul auf!«
    Bossolo stellte sich auf den Tisch und sang. Was sang er? Na, was man von einem Italiener erwartet: ›Santa Lucia‹. Dann eine Zugabe: ›Pape averi e papare‹. Von dieser Minute an gehörte Bossolo fest zum Freundeskreis. Die ›Dicke Emma‹ wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Tenorstimmen hatten sie seit jeher tief ergriffen.
    »Det ist schön, wat?« sagte sie beseligt. »Junge, kannste ooch ›Wie eiskalt ist dies Händchen?‹«
    Welcher Italiener kennt nicht seinen Puccini? Pietro Bossolo, froh und glücklich diese verräucherte Heimat im fremden München gefunden zu haben, sang aus übervollem Herzen die Arie des Rudolfo. Er sang nicht wie Gigli, das verlangte auch keiner, aber er legte alle Träume in seine Naturstimme, und die Schluchzer kamen ganz von selbst, weil die Seele überfloß.
    Am Ende dieses Geburtstagsabends war Bossolo so betrunken, daß Emma Pischke ihn in eines der Betten legte, die sie nur an gute Bekannte vermietete. Es waren im ganzen neun Betten, und sie waren ein besseres Asyl, denn Emma nahm kaum eine Mark für eine Nacht, weil alle Übernachter irgendwie jenseits der menschlichen Gesellschaft standen und wie streunende Hunde waren: Maler, die ihre Miete nicht bezahlen konnten und auf der Straße lagen, ein Schriftsteller, der sich vor seinen Gläubigern, vor allem dem Finanzamt, verstecken mußte, ein Bildhauer auf der Flucht vor einem sexbesessenen Modell und ein Musiker, dem man überall das Zimmer kündigte, sobald er zu üben begann: Er spielte Pauke. Sie alle nahm die ›Dicke Emma‹ unter ihre breitausladenden Fittiche … eine Glucke, die jedes frierende Küken wärmte. Ein letzter Rest aus Schwabings seliger Zeit … und dann aus Berlin!
    Es war gegen 2 Uhr nachmittags, als Bossolo bei der ›Dicken Emma‹ an die geschlossenen Läden klopfte. Diese Zeit gilt in Schwabing noch als tiefe

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