Die Drohung
Verschiebebahnhof.
Wer die nötigen Nerven hat – das ist allerdings Vorbedingung –, der findet im Knast eine eigene, in sich abgekapselte, intakte und gar nicht einmal unschöne Welt. Zunächst: Man quält sich mit keinerlei Sorgen. Das Essen wird serviert, für Kleidung ist gesorgt, die ärztliche Betreuung ist Teil der humanitären Resozialisierung, man kann Bücher lesen, die Kirche besuchen, im Gefängnischor singen, geht jeden Tag eine halbe Stunde spazieren, kann sich auch sportlich durch Faustball und Turnen stählen; und wer nicht so blöd ist, an Flucht zu denken, wird mit hinaus zum Arbeitseinsatz genommen, in die Gärtnerei, in Großbetriebe, zu Handwerkern, zu Räumarbeiten, und keiner verlangt eine Norm von einem, keiner meckert, wenn man sich bei der Arbeit erholt, denn man kann immer sagen: »Halt's Maul, mein Lieber! Mehr als das, was ich schon absitze, kann ich nicht bekommen. Sei froh, daß ich überhaupt noch mitmische.«
Und jeder wird das einsehen.
Auch der Kontakt im Gefängnis ist gut, wenn man sich eingelebt hat. Man muß sich nur über eins mit sich einig sein: Der Kalfaktor ist ein guter Mensch, der Blockaufseher ein Sauhund. Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel der junge Obermann. Wachtmeister, erste Stelle in Stadelheim. Ein Junge mit Idealen. Wenn Obermann Dienst hat, flutscht die Arbeit. Er vertritt die Ansicht, daß wir alle nur Gestrauchelte sind, ausgerutscht auf der unheimlichen Frustration, die unsere Gesellschaft langsam aber sicher entmannt. Das ist natürlich Quatsch, allein bei mir auf dem Flur leben sieben ausgekochte Gewohnheitsverbrecher, denen die Gesellschaftsstruktur scheißegal ist – aber wir hören die sozialistischen Ideen des jungen Obermann gern. Wir belohnen ihn mit Eifer … bei Mittwurz herrscht immer passiver Widerstand. Er spürt das, ja, er sieht es, aber er ist zu herzkrank, um noch dagegen anzukämpfen. Über 27 Jahre Strafvollzugsdienst, das höhlt aus. Das ist wie Knochenfraß. Auch wenn ich dauernd Krach mit Mittwurz habe – ich bewundere ihn im stillen. Er muß Nerven wie Stahlseile haben.
Natürlich kam Beutels mich besuchen. Ein anhänglicher Mensch. Er brachte mir zwei Sumatra-Zigarren mit, seine Marke für gute Laune, und unterhielt sich mit mir wie bei einem Bierabend.
»Was schreiben Sie jetzt?« fragte er.
»Erfahrungen eines Toten.«
»Sehr gut. Ihr Chefredakteur hat 10.000 Mark für einen Hinweis ausgesetzt, wo sein Chefreporter Hans Bergmann steckt.«
Ich war platt. »Sagten Sie Chefreporter?« fragte ich.
»Ja.«
»Und 10.000 Mark?«
»So steht's in der neuen Ausgabe. Mit Ihrem Bild. Ganzseitig. Der Mann macht Rummel und beleidigt in seinem Artikel siebzehnmal die Polizei. Ich hab's unterstrichen und gezählt. Ich bin dabei, mir etwas einfallen zu lassen, um diesem Idioten den Wind wegzusaugen.«
»Eine Leiche können Sie ihm nicht präsentieren.«
»Kaum. Daß Menschen spurlos verschwinden, ist nichts Neues. Meistens klärt so etwas der Zufall. Wir sollten einen Zufall provozieren.«
»Eine andere Idee«, sagte ich. »Helfen Sie mir, die 10.000 Mark zu verdienen. Herr Kriminalrat – 10.000 Mark sind ein Honorar, das bei unserer Firma nur in den Sand des Mars geschrieben wird. Der Verlag muß sich verdammt sicher fühlen und mich total abgeschrieben haben, wenn er diese Summe für Hinweise aussetzt. Das wäre ein Streich, wenn er das Geld zahlen müßte und ich hinterher wieder auftauchte. Der Chef überlebt das nicht. Er hat's sowieso an der Leber vom ständigen Whiskysaufen.«
»Und wie?« fragte Beutels nüchtern. Ich glaubte wirklich, er spielt mit. Sein Haß auf die Presse ist bekannt. Dort sitzen die wahren Kriminellen, soll ein Ausspruch von ihm sein. Dabei ist sein Schwiegersohn Verlagsleiter beim Verlag Baum & Co. der zwei Illustrierte herausgibt. Vielleicht darum … ich kenne Beutels' Schwiegersohn nicht, nur vom Hörensagen.
»Über einen Mittelsmann.«
»Ihre Schwester?«
»O nein. Das wäre dämlich. Da kann jeder dran fühlen. Ich kenne einen Ofensetzer, der würde es für 500 Mark Anteil machen. Wer wird heute noch Ofensetzer im Zeitalter von Zentralheizung und Erdgas? Wenn er mich entdecken würde, einen so überzeugenden Teil von mir, daß man sagen kann: Der Bergmann ist hinüber, oder: Der Bergmann ist gekidnappt … dann sind die 10.000 Mäuschen fällig. Und Sie haben Ihre Rache, Herr Rat.«
»Ich räche mich nie!« sagte Beutels. »Aber siebzehnmal beleidigt werden, das tut weh.«
»Was
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