Die Drohung
Denkduell kommen …«
Nun schien es soweit zu sein. Der Brief rief allgemeines Erstaunen hervor.
Bedächtig, als habe er eine Predigt im Kanzelstil zu wiederholen, las Beutels vor. Niemand unterbrach ihn: ohne es auszusprechen, war man fasziniert von dem Inhalt; die Schweigsamkeit war wie ein widerwilliger, aber dröhnender Beifall.
Meine Herren!
Ihre Bereitschaft hat mich erfreut. Auch ich bin ein Gegner jeglicher Gewalt, und der Gedanke, nicht nur die Olympischen Stätten in München, sondern ganz München und darüber hinaus ganz Mitteleuropa durch eine radioaktive Wolke zu vernichten, erzeugt auch bei mir lähmendes Grauen. Erkennen Sie daraus meine tief humanitäre Gesinnung, denn ich glaube, daß für die Rettung eines ganzen Erdteils 30 Millionen Dollar ein Preis sind, der in keinem Verhältnis zum Schaden steht. Es geht mir letztlich auch nicht um dieses Geld, sondern um die Demonstration der Tatsache, daß Wohl oder Wehe der Menschheit abhängig gemacht werden können von dem Willen eines einzigen Mannes. Allein um den Ernst der Lage begreifbar zu machen, werden Sie mit 30 Millionen Dollar zur Kasse gebeten, denn nichts ist für den Menschen der Jetztzeit und einen Politiker zumal überzeugender als ein Griff zum Geld. Betrachten Sie deshalb die Geldsumme nicht als das Maßgebliche meiner Drohung, sondern als Nebenwirkung. Geld ist mir völlig gleichgültig – nicht aber die tödliche Schläfrigkeit, die lähmende Sattheit, in die die Menschheit gefallen ist …
Beutels sah von dem Blatt auf. »Nett, nicht wahr?« sagte er laut. Und da niemand antwortete, fügte er hinzu: »Ein Fanatiker, den die Überzivilisierung ankotzt. Alter über 50, ich schätze an die 60. Daß dieser Mann im Hintergrund – nennen wir ihn das ›Gehirn‹ – in unserem Alter ist, schließt eine Provokation von Seiten einer revolutionären Spinnergruppe aus. Hier herrscht der eiskalte Intellekt, verbunden mit einem Reformauftrag. Oder anders gesagt: ein Verrückter mit summe cum laude!«
Beutels wartete auf eine Reaktion, aber seine Zuhörer saßen um den runden Tisch wie Wachsfiguren. Großäugig, etwas angebleicht … Beutels senkte den Kopf und las weiter.
Die Übergabe des Geldes en bloc wäre unmöglich, was Sie sicherlich schon ausgerechnet haben. Ein Lastwagen voll Banknoten wäre eine Spitzenleistung an Idiotie. Ich schlage folgende Übergabe vor:
An jeweils 30 aufeinanderfolgenden Tagen werden je eine Million Dollar in kleinen, gebrauchten Scheinen ausgezahlt. Die Übergabe erfolgt ohne polizeiliche Kontrolle oder Überwachung … auch Zivilpersonen werden nicht in der Nähe geduldet, da die Übergabestellen so ausgesucht sind, daß andere Personen als Überbringer und Abholer überhaupt nicht anwesend sein können. Wird die Zahlung unterbrochen oder durch irgendwelchen polizeilichen Einsatz gestört, brechen wir die Verbindung ab und zünden am 26. August um 15 Uhr, nach Entzündung des Olympischen Feuers, unser Feuerwerk mit 12 Kilogramm Plutonium.
Das gleiche gilt, wenn von Ihrer Seite die Zahlung verzögert oder abgebrochen wird in der Hoffnung, in diesen 30 Zahltagen könne man uns einkreisen oder die letzten Millionen sparen. Die Gefahr der Explosion bleibt bis zur letzten Million. Erst nach Vereinnahmung der vollen Summe garantieren wir Ihnen, daß die beiden A-Bomben nicht explodieren werden. Ohne den auslösenden Funkkontakt sind sie wertlos und harmlos wie zwei in Beton eingegossene alte Eimer.
Unsere Garantie: Unser Ehrenwort. Betrachten Sie uns als Gentlemen, denen die Bedeutung eines Ehrenwortes bekannt ist. Bei großen Geschäften wie unserem ist das Vertrauen der beste Partner. Beachten Sie folgenden Zeitplan: Übergabe der ersten Million: am 28. Juli, morgens 1 Uhr im dritten Papierkorb Richtung München des Rastplatzes hinter der Ausfahrt Veldensteiner Forst. Frühestes Erscheinen eines Ihrer Beamten um 3 Uhr. Er wird an der Innenseite des Papierkorbes einen Zettel mit dem neuen Übergabeort finden für den 29. Juli. So wird es weitergehen bis zur letzten Übergabe am 26. August, 2 Uhr morgens. Da um 15 Uhr die Olympischen Spiele eröffnet werden, ist es ratsam, auch den letzten Geldabholer nicht zu belästigen. Wir sähen sonst das Vertrauensverhältnis gestört und uns von unserem Ehrenwort entbunden. Erst nach dem Erklingen der Olympiafanfaren geben wir der Polizei freie Hand.
»Ein großherziger Mensch!« Beutels warf den Brief auf die leere Tischplatte. »›Nach Vereinnahmung der vollen
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