Die Drohung
Sie werden sich totlaufen! Es ist beruhigend, daß sie annehmen, ich wäre schon in München. Bis ich wirklich komme, hat die Bevölkerung Cortone längst vergessen.«
Nicht anders war es auch. Die Bildaktion verpuffte wirkungslos. Wohl meldeten sich 39 Personen, die Cortone erkannt haben wollten … nach diesen Hinweisen mußte er zur gleichen Zeit in Hamburg, Braunschweig, Bochum, Fulda und Passau gewesen sein. Beutels ließ jede Spur überprüfen – dazu ist man verpflichtet, um sich später keinen Vorwurf anhören zu müssen, wenn wirklich ein Hinweis heiß war –, aber er wußte im voraus, daß solche Anzeigen meistens von Personen kamen, die jede Fahndung in eine Art Rausch versetzt. Sechs Hinweise schieden sofort aus … sie stammten von Personen, die polizeibekannt waren und immer Wahrnehmungen meldeten. Harmlose Gespensterseher, die zufrieden waren, wenn man ihnen den Dank aussprach, und die dann stolz davongingen, wie mit einem Orden geehrt.
»Cortone ist nicht in Deutschland«, sagte Beutels zu Holden, nachdem die letzten Anzeigen bearbeitet waren. »Im übrigen weiß ich nicht, warum ihr ausgerechnet diesen Italoamerikaner im Visier habt.«
»Berringer hat unter seinem Dach einen starken Sender entdeckt. Er empfing eine kurze Codemitteilung, die so schwach war, daß sie aus großer Entfernung kommen mußte. Es könnte München sein.«
»Kann Cortone Atombomben herstellen?«
»Wer weiß das? Auf jeden Fall handelt er illegal mit Waffen.«
»Himmel, das wißt ihr und greift nicht zu?«
»Uns fehlen Beweise.«
»Aber Sie sagten doch gerade –«
»Wissen ist kein Beweis, Sir. Unsere Gesetze sind anders als Ihre. Wir können nur eingreifen, wenn wir Konkretes in der Hand haben. Ein Verdacht allein genügt nicht. Bei Gott, wir müßten mehr Zellen als Zimmer haben, wenn wir alle Verdächtigen einsperren wollten.«
»Ich hab' mich immer darüber gewundert.« Beutels versorgte Holden mit Tee. Es war nachmittags, die Stunde, in der Beutels zu einer Brasil zwei Tassen Tee – mit Süßstoff, wegen des Übergewichts – konsumierte. Diese Stunde war im Präsidium geheiligt. Unsichtbar glühte über Beutels Tür eine rote Lampe. Nicht stören! Wer es dennoch wagte, mußte einen kapitalen Grund haben. »Wie hoch ist eigentlich die Dunkelziffer der Verbrechen in den USA?«
»Kaum zu schätzen.« Holden blickte Beutels über den Tassenrand an. »Auch deutsche Gründlichkeit würde daran nichts ändern.«
»Ein anderes System …«
»Wäre nur auf Kosten der unbedingten Demokratie möglich. Das macht kein Amerikaner mit.«
»Lieber beugt er sich dem Verbrechen, was?«
»Wenn es ihm gefällt, warum nicht? Jeder Mensch kann so leben, wie er will. Das ist wirkliche Freiheit.«
»Sie hat nur einen Haken, Holden.« Beutels blies einen schönen Kringel in die Luft. Er hatte darin eine Kunstfertigkeit entwickelt, die varietéreif war. »Das Wesen des Menschen verträgt keine absolute Freiheit. Er ist ein Herdentier, und dazu das blutrünstigste, das die Natur geschaffen hat. Daß sein Hirn auch noch die Intelligenz entwickelt hat, macht ihn besonders gefährlich.« Er beugte sich vor, schob die Teetasse weg und überblickte ein großes Blatt Papier, das mit Namen und Zahlen wie von einem abstrakten Muster bedeckt war. Die Ausbeute aller Ermittlungen – das Schnittmuster des Verbrechens. »Bisher führt nur eine einzige Spur zu Cortone: Pietro Bossolo.«
»Und der hängt tief in der ganzen Sache. Er allein hat mit dem ›Hirn‹ – wie sie es nennen – gesprochen. Er wurde zum Werkzeug. Warum gerade er? Und wo steckt Bossolo jetzt? Lepkin sucht ihn verzweifelt.«
»Um Gottes willen, Holden … keine sibirischen Methoden bei uns!«
»Es geht um eine Sache, bei der Humanitätsduselei nicht angebracht ist!« sagte Holden hart. »Beutels, ich verspreche Ihnen: Wenn ich Cortone sehe, werde ich mich einen Dreck um deutsche Gepflogenheiten kümmern!«
Was sollten alle diese Worte und Überlegungen? Cortone lag in Acapulco im Sand, ließ sich von seinem Arzt behandeln, sorgte für so viele Alibis, daß den Untersuchungsbehörden später die Augen tränen würden vor Ergriffenheit, und wartete geduldig. Ohne es zu wissen, praktizierte er die erfolgreichste russische Methode: Die Zeit für sich arbeiten zu lassen. Die Zeit ist der beste, stillste, treueste und sicherste Gehilfe.
München
Die Zeit bis zum 28. Juli wurde eine Qual. Wenn man acht Wochen herumlungert, von den verschiedensten Vorgesetzten mit
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