Die Drohung
Beutels tippte mit dem Zeigefinger auf den Brief. Es klang wie das harte Stakkato eines einzigen Trommelschlegels. »Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wer die 35 Millionen Mark bezahlt.«
»Niemand! Das ist ja absurd!« Der Präsident des Olympischen Komitees beugte sich über den Tisch Beutels entgegen. »Wir beugen uns doch nicht dieser Erpressung!«
»Dann fliegt das Stadion in die Luft.«
»Das zu verhindern, ist ja die Polizei da!«
»Aber die Polizei ist wie ein Blinder in der Nacht.«
»Eben das finde ich skandalös. Ich werde mich nie mit dem Gedanken befassen, 35 Millionen für eine Drohung zu bezahlen!«
»Meine Herren!« Fritz Abels klopfte mit seiner Kaffeetasse auf den Teller. »Spielen wir jetzt nicht Ringelreihen mit rhetorischen Phrasen? Die Lage ist – auf ein Wort gebracht – offen! ›Offen‹ heißt: Niemand von uns weiß, ob dieser Brief es wert ist, so dramatisch genommen zu werden, wie wir es alle hier im Raum gegenwärtig praktizieren. Das nächstliegende ist, dem Wunsch des Briefschreibers nachzukommen und in der ›Süddeutschen Zeitung‹ die gewünschte Anzeige einrücken zu lassen: ›Wir danken dem ehrlichen Finder.‹ Übrigens, der Mann hat Humor.«
»Es beruhigt mich ungemein, daß Sie solch eine Freude an diesem Lumpen haben!« sagte der Innenminister laut. »Gut, wir setzen diese Anzeige ein. Dann wird er – vielleicht – wieder schreiben. Sind Sie dadurch ein Stück weiter? Das gleiche Papier, das gleiche Kuvert, die gleiche Schrift, Stempel München 23 … na und?«
»Der Schreiber wird jetzt ins Detail gehen. Details bieten immer Ansatzpunkte. Ein einziges Wort kann eine Spur aufreißen.«
In diesem Augenblick wurde der zweite Brief abgegeben. Während der Präsident des Olympischen Komitees ihn aufriß – »Ich brauche wohl keine Rücksicht auf Fingerabdrücke zu nehmen, es sind ja doch keine dran!« sagte er dabei – und mit bebenden Fingern den Bogen herauszog, trank Beutels einen tiefen Schluck aus seiner Maß. Er war der einzige unter den Anwesenden, der den Eindruck machte, im Biergarten des Hofbräuhauses zu sitzen.
»Na also«, rief er sogar, und alle am Tisch zuckten zusammen, »ist das eine gelungene Inszenierung oder nicht? Stichwort: Zweiter Brief – komm! Und schon tritt er aus der Kulisse. Wann geht die Bombe los?«
Der Präsident blickte zu Beutels hinüber. Sein fotogenes Gesicht, in Deutschland allen Einwohnern von zehn Jahren aufwärts bekannt, wirkte merkwürdig zerknittert, wie plissiert. »Ich lese vor«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich –«
Er holte tief Atem, schluckte und schüttelte den Kopf, bevor er weitersprach. Der Brief versetzte ihn in einen Zustand absoluter Leerheit. Nur ein nicht mehr beherrschbares Entsetzen kann so etwas auslösen.
Sehr verehrter Herr Präsident.
Bevor Sie durch die Anzeige in der ›Süddeutschen Zeitung‹ auf meinen Vorschlag eingehen, möchte ich einige Fakten nachtragen, die den vielleicht vorhandenen letzten Rest Ihres Zögerns erlöschen lassen:
Die 12 Kilogramm Plutonium, in zwei Bomben verteilt, werden am Eröffnungstag der XX. Olympischen Spiele, mitten in die Feierstunde hinein, explodieren. Genau terminiert: Am 26. August, 10 Minuten nach Eintreffen der Olympischen Fackel und Entzündung des Olympischen Feuers auf der Osttribüne des Stadions. Die Explosion wird ausreichen, alle olympischen Anlagen und den größten Teil Münchens zu zerstören.
»Das stimmt genau« – Beutels tiefe Stimme zerschnitt die mit Grauen aufgeladene Stille.
»Mein Gott«, stammelte der Innenminister. »Mein Gott. So etwas gibt es doch nicht.«
Sie haben nun fast fünf Monate Zeit, die Sprengladungen zu suchen. Wir wissen, Sie werden es tun. Es ist vergeblich. Sie wurden eingebaut, als das Stadion noch im Rohbau war. Sie könnten sie nur finden, wenn Sie das ganze Stadion wieder abreißen – bis auf die Fundamente.
Was sind dagegen 10 Millionen Dollar? Man sollte gar nicht darüber sprechen – sondern zahlen.
Komitee und Aktionsgemeinschaft für friedliche Spiele
Der Brief flatterte auf den Tisch … er war dem Präsidenten aus den kraftlosen Fingern geglitten. Mit weiten Augen sah er sich um. Gesichter wie Masken, im Nebel der Rauchschwaden schwebend.
»Ein korrekter Brief.« Wieder Beutels, trotz einem Feuerwerk von Blicken, die ihn bremsen wollten. »Genaue Zeit, genauer Ort der Tat – was wollen wir mehr? Die ›Aktionsgemeinschaft‹ versteht etwas von Fair play. Nun wissen wir, was los
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