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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unbekannten Mann mit dem erhobenen Arm auf.
    Am Abend sah ich meinen Vater erbleichen, dann brüllte er: »Wer hat das runtergeholt?« Und Mutter stürzte aus der Küche, starrte auf das Bild und antwortete: »Ich dachte, du hättest es Hans erlaubt.«
    »So ein Blödsinn!« schrie mein Vater, riß das Bild herunter, hängte die roten Reiter wieder auf, gab mir eine Ohrfeige – ich begriff nicht, warum – und stieg auf den Speicher, um den Mann mit dem Schnurrbart wieder unter dem Gerümpel zu verstecken.
    Damals war ich tief beleidigt. Eine Ohrfeige für ein Bild, das mir gefiel, war Unrecht. Die Gottfigur meines Vaters bekam einen Riß. Wie in einem Porzellanteller, Sie wissen … so ein kleiner, feiner Haarriß, man sieht ihn kaum, nur schräg gegen das Licht … aber der reine Klang ist dahin. Es tönt plötzlich gebrochen.
    Später erkannte ich, daß mein großer Vater seinen Namen nicht an mich weitergegeben hatte, um mich zu ehren, sondern weil er einfallslos, ohne Phantasie, eine wirklich miese, bequeme, alltägliche, nicht im Dutzend, sondern im Hundertbündel billigere Type war. Und den Mann mit dem Schnurrbart lernte ich auch kennen, in der Schule, im Geschichtsunterricht, und plötzlich verstand ich, daß mein himmelhoher Vater erbleichte, als der Mann plötzlich an der Wand hing.
    »Der ist das also?« sagte ich, als wir in der Schule über diesen Mann gesprochen hatten. »Na, hör mal, und so etwas hebst du auf?« Ich war damals 12 Jahre alt, und was man uns erzählte, war nur ein Bruchteil dessen, was dieser Mann angerichtet hatte. Ein Stückchen Schrecken, wohl dosiert für Zwölfjährige. Aber es genügte mir bereits.
    Mein Vater sah mich mit umwölkter Stirn an – früher nahm ich das hin als göttliches Nachdenken – und erwiderte: »Mein Sohn« – er sagte wirklich ›Mein Sohn‹, feierlich, nur die Schwurhand ließ er unten – »das ist noch zu fern für dich. Merke: Nicht alles, was man erzählt, ist glaubwürdig.« Mein Vater war Beamter. Amtsgericht. Grundbucheintragungen.
    Heute bin ich 30 Jahre alt. Das Bild meines Vaters, das schon früh einen Riß bekam, ist mittlerweile ganz zur Scherbe geworden. Ein Scherbenberg. Aber vieles, was er in mich hineingepflanzt hat oder von dem er glaubte, es könne in mir Wurzeln schlagen, ist aufgegangen … nur in anderen Farben und Formen. Vor allem ein Satz ist tief in mir geblieben: Nicht alles, was man erzählt, ist glaubwürdig.
    Ich bin Journalist geworden.
    Mein Vater hat es nicht mehr erlebt – er starb an einem Dickdarm-Karzinom. Meine Mutter war damals schon tot; wir haben nie richtig erfahren, woran sie gestorben ist. Es hieß Herzversagen – aber schließlich ist jeder Tod ein Herzversagen. Ich habe noch keinen Toten gesehen, dessen Herz hinterher weiterschlug. Eine gute Nachbarin allerdings brachte etwas Licht in das Sterben meiner Mutter. Sie fragte mich und meine kleine Schwester – Helga heißt sie, nach der Mutter, auch eine Phantasielosigkeit meines Vaters – im Treppenhaus: »Na, was hat euer Vater denn gesagt, als er die Mutti vom Fensterkreuz abschnitt?«
    Das war uns neu. Wir waren nämlich in der Schule, als Mutter starb, und als wir nach Hause kamen, war sie schon abtransportiert in die Leichenhalle, und Vater sagte mit heroischem Blick: »Eure Mutter war immer eine gläubige Frau. Sie hatte es eilig, zu Füßen Gottes zu sitzen.« Das war ungeheuer eindrucksvoll – man muß bedenken, damals bewunderte ich meinen Vater noch, wenn auch mit dem kleinen Haarriß. Von Fensterkreuz und abschneiden hatte keiner etwas gesagt, auch nicht Onkel Gustav und Tante Berta, sie hatten nur geweint und uns ›arme kleine Seelchen‹ genannt.
    Bevor ich den ganzen Todeskomplex meiner Mutter begriff und meinen göttlichen Vater irgendwie zur Rechenschaft ziehen konnte (ich erfuhr später, daß er Mutter bei jeder passenden Gelegenheit geprügelt hatte, er nannte es ›Jetzt spielen wir den Präsentiermarsch‹, so ein Schwein, solch ein Sadist war er), war er tot. Dickdarm-Ca, wie gesagt. Sie haben ihm in den Krankenanstalten rechts der Isar noch ein künstliches Arschloch gemacht, einen › Anus praeter ‹, wie es vornehm heißt, aber es half nichts. Mein Vater, dieses Miststück, starb an seinem Dickdarm. Sein Arsch vergiftete ihn.
    Gott, gibt es doch Gerechtigkeit?
    Ich bin also Journalist. Ein mittelmäßiger, ich gestehe es. Kein Held der Reportage, wie das Fernsehen sie immer zeigt, das damit ein geradezu kriminell schiefes Bild

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