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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in sich wie ich.
    Er begann zu frieren, glaubte zu zittern, aber sein Körper lag reglos, wie versteinert. Holden zögerte. Es war ein Kampf in ihm, wie er ihn nie wieder erleben wollte. Dann siegte die Sorge um das Leben von Millionen über seine freundschaftlichen Gefühle für einen einzelnen.
    »Lepkin«, sagte er heiser. »Ich schwöre Ihnen bei Gott, den ich nie anerkannt habe, und wenn ich ihn ab und zu nannte, war's nur eine Redensart – aber jetzt rufe ich ihn, und wenn es ihn gibt, dann hört er mich: Sie haben mehr als ein Denkmal verdient. Wenn es Gott gibt, dann muß er Sie retten, damit die Menschheit Ihnen danken kann. Lepkin, versuchen Sie zu leben, bis ich wiederkomme.«
    »Ich will mein möglichstes tun, Holden.« Lepkin lächelte verzerrt. Die Kälte in ihm war härter als der sibirische Winter. Sie fiel aus der Unendlichkeit. »Viel Glück! Und denken Sie daran: Nie eine Sekunde zu spät –«
    Holden rannte hinaus.
    In seinen Augen standen die blanken Tränen.

Ramsacher Moor
    Wie ein Wolf strich Holden durch das einsame Gelände. Wie ein Wolf dachte und fühlte er auch. Er verstand plötzlich, was man mit ›Blutdurst‹ meinte und was, wenn man sagt: »Ein Mensch wird zur Bestie.« Wenn er an Cortone dachte, war er bereit, alles Menschliche von sich abzustreifen.
    Die Blutspur, von der Lepkin gesprochen hatte, fand er wirklich. Aber sie endete auf einem Weg. Stoffetzen bewiesen, daß sich Cortone hier mit seinem Hemd verbunden hatte. Dann war er weitergelaufen, sicherlich in den Wald hinein, der 200 Meter weiter begann.
    Holden machte kehrt, lief über die Straße zurück zu einem abseits gelegenen Gehöft und scheuchte den Bauern auf mit der Mitteilung, er müsse sofort einen Krankenwagen holen, in der Hütte im Moor liege ein Sterbender. Ehe der Bauer »Jo mei, wer seid's denn ihr, he?« brüllen konnte, war Holden schon wieder aus dem Haus.
    Der Wald! Dichtes Unterholz, ein prächtiges Versteck. Ein Schießstand für einen Scharfschützen wie Cortone. Holden nahm die Spur dort auf, wo die Hemdfetzen lagen. Langsam, mit äußerster Vorsicht, tauchte er im Wald unter. Das war Cortones großer Vorteil – er brauchte nicht zu schleichen, er hatte zwei Stunden Vorsprung: Wenn er kräftig genug war, wenn Lepkins Kugel ihn nur im Fleisch getroffen hatte, konnte es ihm gelingen, für ein paar Stunden noch in Freiheit zu leben. Mehr brauchte er ja nicht … nur eine Nacht und einen halben Tag. Um 15 Uhr am 26. August – also morgen – konnte München untergehen, wenn der Zünder an Dr. Hassler abgeliefert worden war. Das allein zu erfahren war wichtig … was hinterher kam, verblaßte völlig.
    Holden blieb stehen und überlegte. Wohin läuft ein Mensch, der Zeit gewinnen will? Zur Straße. Um mitgenommen zu werden. Vielleicht auch, um sich mit dem Revolver ein Auto zu verschaffen. Für Cortone war jetzt eilige Flucht die einzige Rettung. Weg von Lepkin, weg von Holden, weg von München.
    Holden atmete tief durch und rannte weiter.

München
    Lepkin lebte noch, als Beutels mit dem Hubschrauber in Murnau landete. In dem kleinen Krankenhaus wagte man nicht, diesen komplizierten Schuß zu operieren … man hatte Lepkin an einige Tropfflaschen angeschlossen, die ihn kräftigten, und gaben ihm Bluttransfusionen.
    »Nicht mehr transportfähig«, sagte der Chefarzt, als Beutels ihn fragend ansah.
    »Überlebenschancen?«
    »Vielleicht. Aber es wäre besser …«
    Beutels nickte und ging ins Krankenzimmer. Aus dem Gewirr von Schläuchen blickte ihm Lepkin mit einer erschütternden Fröhlichkeit entgegen. Seine Schmerzunempfindlichkeit, empfand Beutels, war geradezu teuflisch.
    »Sie kommen, sobald es möglich ist, in die Universitätsklinik«, sagte Beutels und gab Lepkin die Hand. Sie war eiskalt, wie erstarrt. »Nur eine Frage: Wo ist Holden?«
    »Hinterher.«
    »Ich lasse sofort das Gebiet absperren!«
    »Nein. Nicht! Das hat keinen Sinn. Cortone denkt, ich sei tot. Er fühlt sich sicher. Er weiß ja nicht, daß Holden unterwegs ist. Wenn er auf die Sperren stößt, weiß er, daß nur ein Durchbruch hilft. Er wird rücksichtslos schießen.« Lepkin bettelte mit den unnatürlich vergrößerten Augen. »Lassen Sie Holden allein arbeiten, Towarischtsch …«
    Beutels atmete tief durch, nickte, strich Lepkin, wie ein Vater seinem kranken Sohn, über die Haare und verließ schnell das Zimmer.

Ramsacher Moor
    Die Nacht überraschte Holden viel zu früh. Er hatte Cortones Spur gefunden, blutige Hemdteile,

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