Die Drohung
eingesperrt?«
»Durch einige Tricks. Der Junge protestiert mit einer Vehemenz und Ausdauer, die erstaunlich ist. Seit gestern singt er stundenlang kalabresische Volkslieder, in denen die Madonna eine große Rolle spielt. Ein harmloser Junge, Holden. Nur ein Lockobjekt unserer Gegner.«
»Das werden wir erfahren.« Holden ließ das zweite Zauberkaninchen aus seinem Ärmel. »Pietro Bossolo war bis vor zwei Jahren noch in New York.«
»Das wissen wir«, sagte Beutels ahnungsvoll. »In Boston.«
»New York! Und er arbeitete bei Maurizio Cortone.«
»Den kenne ich nicht.«
»Ich beneide Sie.« Ric Holden erhob sich. »Nach unseren Begriffen lebt ein deutscher Polizist dauernd im Urlaub …«
Das war ein Satz nach Beutels Art. Er beschloß, ihn gut zu behalten und bei der nächsten Abteilungsleiterkonferenz im Präsidium zum besten zu geben.
Pietro Bossolo wurde aus dem Keller geholt.
München-Riem
Stepan Mironowitsch Lepkin landete um 22.32 Uhr mit einer Linienmaschine aus Prag. Bis Prag war er schneller geflogen … mit einem Düsenjäger, einer MIG der sowjetischen Luftwaffe. Es war das erstemal, daß er in einem so schnellen Vogel saß, und er kam sich abgesehen von dem Gefühl, schneller als der Schall durch die Luft zu rasen, äußerst elend vor, bewunderte die Genossen, die jeden Tag in diesen fliegenden Sarg kletterten und lobte sein eigenes Handwerk, das wohl auch gefahrvoll war, aber immerhin auf festem Boden stattfand.
In der Halle des Flughafengebäudes in Riem empfing ihn Iwan Prokojewitsch Smelnowski, der unter dem Namen Anton Harlinger in Schwabing als freischaffender Maler lebte. Er war einer der seltenen Russen, die bayrisch sprechen konnten, und fiel nicht auf als Zugereister, wenn er in den Bierkellern seine Maß stemmte und über Politik diskutierte. Es war seine Aufgabe, die Stimmung des Volkes zu erforschen, vor allem seine Einstellung zur Sowjetunion, zur Ostpolitik der Regierung und zur Verbreitung eines stillen Revanchismus. Smelnowski-Harlinger führte Listen über seine Gespräche und errechnete – nicht anders als die Meinungsforschungs-Institute – an sogenannten ›repräsentativen Querschnitten‹ die Prozente der deutschen Stimmung aus. Eine nicht sonderlich gefährliche Aufgabe, aber eines der vielen kleinen Mosaiksteinchen, aus denen man sich im Kreml ein Deutschlandbild zusammenbaute.
»Es freut mich, Sie zu sehen, Stepan Mironowitsch«, sagte Smelnowski und nahm Lepkin den kleinen Lederkoffer ab. Ein Koffer aus Paris, feinstes Schweinsleder, eine Cardin-Création. Wie gesagt, Lepkin war ein Lebenskünstler, einer aus jener Generation, die den Großen Vaterländischen Krieg als Kind erlebt hatte, einer der seinen Vater vor Minsk verlor und der immer, wenn man ihn nach seiner Lebensart fragte, antwortete: »Es ist nicht mein Verdienst, daß ich in einer Zeit relativen Friedens aufgewachsen bin. Erwarten Sie von mir nicht das Denken meiner Väter. Ich diene meinem Volk – ich bin Russe –, aber ich denke kosmopolitisch.«
Sein Vorgesetzter Abetjew hatte es bald aufgegeben, mit Lepkin über solche Dinge zu diskutieren.
»Ich hatte schon immer den Wunsch, den großen Lepkin kennenzulernen«, sagte Smelnowski, als sie über den Parkplatz zu Smelnowskis kleinem Renault gingen. Ein Maler von der Qualität Anton Harlingers kann sich keinen Mercedes leisten, nicht mal einen Ford oder Opel. Stilechtheit aber war die Grundregel aller Agenten.
»Und sind Sie jetzt zufrieden, Iwan Prokojewitsch?«
»Ich habe Sie mir älter vorgestellt. Wo werden Sie wohnen?«
»Im Holiday Inn.« Er blickte auf seine Uhr – auch aus Paris, aus dem Juwelier-Wunderland eines Cartier – und dachte kurz nach. Seine schöne Stirn kräuselte sich dabei etwas. Er war überhaupt ein schöner Mann, dieser Lepkin. Blauäugig, blond, von kräftiger Statur, mehr ein Nordländer als ein Russe, nur die betonten Wangenknochen erinnerten an die Weite der Steppen und einen Vorfahr, der einmal auf einem kleinen, schnellen Pferd nach Westen geritten sein mußte. »Fahren wir zuerst zum Polizeipräsidium. Ich will diesen Towarischtsch Beutels begrüßen.«
So kam es, daß Beutels mitten im Verhör des wild gestikulierenden Bossolo gestört wurde durch einen Anruf des Pförtners: »Hier steht ein Russe, Herr Rat, der will zu Ihnen.«
»Lepkin ist da«, sagte Beutels zu Ric Holden.
»Jetzt werden Sie sich wundern.« Holden grinste breit. »Lepkin wirft das Rußlandbild der Deutschen völlig über den
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