Die Drohung
sagen ja. Aber Deutschland besitzt keine Atombomben. Dadurch ergibt sich ein neues Bild. Das Plutonium kann nur von zwei Seiten nach München gekommen sein … aus den USA oder aus China.«
»Oder aus der UdSSR.«
»Stepan Mironowitsch, Ihr Humor ist makaber.« Abetjew verbarg seine Überraschung. Seit Stunden wälzte er das Problem in seinem Hirn herum, aber dieser eine Gedanke war ihm nicht in den Sinn gekommen. »Ist Ihnen ein Fall bekannt, daß 12 Kilogramm Plutonium bei uns verschwunden wären?«
»Nein, Genosse Oberst. Aber ist er in den USA oder in China bekannt? Wenn Atommaterial gestohlen wurde, so wird das nie im Rundfunk hinausgeschrien werden … auch bei uns nicht. Es gibt viel fauliges Fleisch, das man verschluckt –«
»Aber irgendwer riecht aus dem Mund! Fahren Sie nach München und schnuppern Sie.« Abetjew erkannte klar, daß er einen nahezu unausführbaren Auftrag erteilte, aber wenn jemand in der Lage war, die verworrene Lage in München aufzuweichen, dann war es Lepkin. »Am 26. August um 15 Uhr sollen die Bomben alles, was sich auf dem Olympiafeld befindet, zerreißen, in die Luft fegen. Mir wäre das gleichgültig, wenn nicht unsere besten Sportler und Mitglieder des Zentralkomitees der Partei auch pulverisiert würden. Sie haben die Aufgabe, diese Sprengung zu verhindern.«
»Es wäre einfacher, Genosse Oberst, gar nicht nach München zu fahren und auf die Spiele zu verzichten.«
Abetjew starrte Lepkin an, als habe er durch einen Zaubertrick das Gesicht Stalins angenommen. Wie kann ein Mensch so etwas denken, durchfuhr es ihn. Nicht teilnehmen!
»Sollen wir die feigste Nation der Welt genannt werden?« sagte er erschüttert.
»Vorsicht ist keine Feigheit.«
»Wir haben alle Chancen, die meisten Medaillen zu gewinnen, und Sie reden von Rückzug, Stepan Mironowitsch!«
»Wie reagieren die anderen Staaten?«
»Die USA schicken einen Experten, Frankreich auch. Von den anderen ist noch nichts bekannt. In Deutschland arbeitet eine Sonderkommission von 150 Mann.«
»Und was haben sie erreicht?«
»Nichts!«
»Hoffen Sie auf mehr, Afanasij Alexandrowitsch?«
»Ja. Darum schicke ich Sie, Lepkin! Ich weiß nicht, wo und wie Sie in München ansetzen können. Ich weiß nur eins: Menschen haben sich diese Gemeinheit ausgedacht, und Menschen machen Fehler. Das aber ist Ihre Spezialität: Menschen an ihren Fehlern aufzuhängen! Stepan Mironowitsch, ich sage Ihnen nichts Unbekanntes, wenn ich betone, daß Ihr Auftrag der vielleicht wichtigste ist, den je ein Mensch in Rußland erhalten hat. Sorgen Sie für Frieden in München! Leben Sie wohl.«
Lepkin verließ das Zimmer 14 mit dem Gefühl, von jetzt an um sein Leben zu rennen. Er blieb auf dem Korridor stehen, blickte aus dem Fenster auf die belebte Straße, kniff die Augen zusammen und schob die Unterlippe vor.
Der Schnee schmolz in Moskau. Ein warmer Wind aus den südlichen Steppen wehte durch die Straßen und verwandelte die weiße Zuckerpracht in schmutzige Haufen und Pfützen. Unter den Rädern der Autos spritzten Fontänen hervor, und die Fußgänger hüpften wie Lämmer hin und her, fluchten, hoben drohend die Fäuste, klopften den Matsch von ihren Kleidern.
17.15 Uhr fliegt eine Antonow von Scheremetjewo nach Prag, dachte er. Von Prag komme ich nach München. Dann wird die große Blamage beginnen. Ich habe nichts in der Hand als einen Befehl.
Ein Befehl aber ist in Rußland alles, Himmel und Hölle zugleich.
München
Die Sonderkommission und das Nationale Olympische Komitee tagten zum wiederholten Mal und sprachen immer wieder die Maßnahmen durch, die durch die Drohung notwendig wurden. Das Bild, das sich immer klarer abzeichnete, war trostlos.
Es gab nur eine Alternative: entweder man gab den Forderungen nach und zahlte 30 Millionen Dollar an die Erpresser … oder die Olympischen Spiele mußten abgesagt werden. Der Präsident des Olympischen Komitees sah in der Zahlung den gangbarsten Weg. Das war auch die Ansicht aller Anwesenden, bis auf den Staatssekretär des Finanzministeriums, der logisch fragte:
»Und wir allein sollen das bezahlen?«
»Es handelt sich um 105 Millionen DM«, sagte Beutels und kaute auf einer Brasil herum. »105 Millionen für eine Olympiade, die bisher doppelt so teuer geworden ist wie geplant. Nehmen wir nur ein Beispiel: das berühmte Zeltdach!« Beutels blickte hinüber zu dem Präsidenten. Immer, wenn es um ein Beispiel geradezu artistischer Kalkulation und Preissteigerungen ging, war das
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