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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Nackenhaare auf. Sie war schon vielen Männern wie ihm im Laufe ihres Lebens begegnet und erkannte es wie immer an den Augen. Keine Seele und kein Verstand, die ihn zügelten, kein Herz, das Leid und Not zu verstehen vermochte. Er hatte eine schöne äußere Hülle, die wohl so manch einen zu blenden vermochte. Aber nicht sie. Angewidert griff sie nach dem Krug und ihrem Essen und stand auf.
    »Ich bin müde und brauche Schlaf.« Keiner der anderen machte Anstalten ihr zu folgen. Sie fragte sich, ob einer von ihnen ihre Lüge mit einer unbedachten Bemerkung aufdecken würde, und ließ nochmals ihren Blick über ihre Begleiter streifen. Doch diese schienen sie ohne ein Wort verstanden zu haben. »Macht nicht mehr so lange. Wir müssen früh am Morgen weiter.«
    »Wir kommen bald nach«, versprach Anderlin. Bevor sie den Schankraum verließ, sah Margrite noch, dass der Wirtsjunge erneut die Krüge füllte. Mit einem unguten Gefühl verließ sie das Haus.

    Dass die anderen nach und nach zum Schlafen in die Scheune gekommen waren, hatte Margrite nur vage wahrgenommen. Zu bequem war die Lagerstatt im Stroh, zu wohl fühlte sie sich in der Wärme und dem Geruch um sie herum. Das erste Mal seit Tagen hatte sie die Riemen ihrer Sandalen lösen und ihre Schuhe beiseitestellen können. Eine Wohltat für ihre geschundenen Füße, die sie tagein, tagaus über die Pfade trugen. Ein Geräusch schreckte sie auf. Durch die Schlitze der Holzbretter hindurch konnte sie erkennen, dass draußen noch tiefe Nacht herrschte. Der Morgen graute noch nicht, und nun wurde ihr auch bewusst, dass es die Hufschläge eines fortgaloppierenden Pferdes waren, die sie geweckt hatten. Nur umrissartig konnte sie ihre Begleiter in der Scheune ausmachen. Ganz sicher war sie nur bei Anderlin, der mit seinem Schnarchen fast schon die Stallwände erzittern ließ. Langsam gewöhnten sich Margrites Augen an die Dunkelheit. Binhildis lag am nächsten bei ihr. Sie hatte sich zusammengerollt wie ein kleines Kind, atmete gleichmäßig und seufzte gelegentlich zufrieden auf. Wolfker und Otto hatten es sich am anderen Ende der Scheune gemütlich gemacht. Margrite war schon mehrfach aufgefallen, dass sie sich ein wenig vom Rest der Truppe absonderten. Sie hatte in Würzburg, kurz vor ihrem Aufbruch, Gerüchte vernommen, dass Wolfker und Otto nicht nur Freunde aus Jugendtagen wären, sondern sich in einer Art und Weise miteinander verbanden, wie es gottessträflicher nicht sein konnte. Sie selbst hatte keine Beobachtung in diese Richtung gemacht. Doch sie war wachsam. Wenn sich die beiden tatsächlich wider die Natur und Gottes Willen einander näherten, waren sie alle in Gefahr, auf dem nächstbesten Scheiterhaufen zu landen. Umso genauer beobachtete sie nun, ob sie etwas erkennen konnte, was dem Verhalten zweier Männer im Schlaf nicht geziemte. Doch alles, was sie sah, waren zwei Männer, die leise schnarchten, ohne einander in einer irgendwie anstößigen Weise zu berühren. Beruhigt atmete sie aus. Doch etwas, das sie nicht näher zu bestimmen vermochte, ließ ihren Blick abermals unruhig durch die Scheune wandern. Sie verstand es selbst nicht sofort. Plötzlich wurde es Margrite klar, und ihr Herz begann so heftig in ihrer Brust zu schlagen, dass sie keuchte. Wo war Cecilie? Hatte sie dem Fremden das Pferd, das vor dem Wirtshaus stand, gestohlen und sich damit auf und davon gemacht? Sicher würden die anderen und sie eine solche Tat schwer zu büßen haben. Doch weit weniger als dieser Gedanke beunruhigte Margrite noch etwas ganz anderes. Ihr Gefühl sagte ihr, dass etwas geschehen war, etwas viel Schlimmeres als der Diebstahl eines Pferdes. Sie schob ihren Umhang, mit dem sie sich während des Schlafs zugedeckt hatte, beiseite und schlich vorsichtig zur Tür. Einen Moment lang überlegte sie Anderlin zu wecken, um mit ihm gemeinsam nachsehen zu gehen. Doch dann entschied sie sich dagegen. Wenn sie weiterhin ihre Stellung in der Gruppe behaupten wollte, durfte sie nicht bei der erstbesten Gelegenheit Angst zeigen und nach einem Beschützer rufen. Bekämen die beiden Dirnen das mit, würde sie deren Respekt, den sie sich mühsam erworben hatte, schnell wieder verlieren und könnte womöglich nicht einmal mehr den Hurenlohn für sie einfordern, der neben dem Handel mit Kleinwaren immerhin einen guten Teil ihrer Einkünfte darstellte. So gab sie acht, keinen Laut von sich zu geben, öffnete mit einem leichten Knarren die Tür und trat ins Freie. Es war eine

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