Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Geburtstag aus ihm herausbrach. Er ist wie Conrad ein Werwolf, aber ich habe ihn gezähmt und er lebt nun bei uns auf Blankensee. So schwer dieses Schicksal auch ist, er hat dadurch zurück in den Schoß der Familie gefunden. Es ist eine Freude, Vater und Sohn zusammen zu sehen.
Seit wenigen Tagen sind nun auch wieder Pferde auf Blankensee und wir hoffen, dass wir ein neues Gestüt aufbauen können.
Wir stemmen uns mit aller Kraft gegen den Fluch, der auf der Familie Vanderborg liegt, und geben auch in diesen dunklen Zeiten die Hoffnung nicht auf.
Amanda
Allerdings mussten wir, kaum dass die ersten Stuten trächtig waren, schon wieder um den Frieden zittern, denn Mitte August erhielt ich einen Anruf von Kale Kalsen, der sich in Prag aufhielt und von deutschen Truppenverbänden berichtete, die gen Osten auf dem Marsch seien. Er wollte sich sicherheitshalber nach Warschau absetzen.
Das war keine gute Idee, denn am 1. September 1939 fiel Hitler mit seinen Truppen in Polen ein und rang es in einem in der Heimat umjubelten und propagandistisch ausgeschlachteten Blitzfeldzug nieder. Ganz wesentlich zur Kapitulation Polens trug dabei die Bombardierung Warschaus bei, bei der grauenvolle Verluste unter der Zivilbevölkerung bewusst einkalkuliert waren. Auch Kale Kalsen war vermutlich unter den Opfern, denn ich hörte nie wieder von ihm.
Immer mehr Menschen waren nun über Blankensee auf der Flucht vor dem Hitlerregime, weil ihnen als Oppositionellen Deportation und Haft drohten oder sie nichtarischer Abstammung waren. Auch einige von Friedrichs Künstlerfreunden suchten bei uns Unterschlupf. Unverbesserliche Optimisten, deren Werke in München zwar als entartet öffentlich an den Pranger gestellt wurden, die aberdennoch hofften, dass sie das Dritte Reich in Deutschland überstehen könnten. Doch nach wenigen Wochen im Geheimen Gewölbe begannen die meisten an Klaustrophobie zu leiden, Panikattacken zu bekommen und die Flucht ins Ausland dem monate-, vielleicht jahrelangen Verstecktsein vorzuziehen.
Auch Sarah war mit ihrem Bruder Aaron bei uns untergetaucht, als ihre Eltern von Nazischergen aus dem Haus getrieben und auf einem Lastwagen abtransportiert wurden. Sie waren auf dem Rückweg von Freunden, als sie den Auflauf vor dem Haus sahen und sich instinktiv versteckt hielten.
»Aaron wollte zu seiner Mutter laufen, aber ich hielt ihn zurück und presste ihm die Hand auf den Mund, damit er nicht nach ihr rief. Er hat mich geschlagen und beschimpft, als der Lastwagen davongefahren war und wir uns in der Dunkelheit noch einmal ins Haus schlichen, um ein paar Sachen mitzunehmen.«
Sarah liefen die Tränen über das Gesicht. »Aber ich hätte ihn doch nicht auch noch den Nazis in die Arme laufen lassen können.« Man merkte ihr an, wie sehr es sie schmerzte, dass sie die Eltern so ohne Abschied fortlassen musste. Obwohl kaum Trost möglich war, sagte ich:
»Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben«, wenngleich ich daran zweifelte, dass die Rosenbaums das Dritte Reich überleben würden.
Wir quartierten Sarah und Aaron im Ostflügel ein, wo auch schon Claudia bei Lysette wohnte, und zeigten ihnen den Weg ins Geheime Gewölbe, damit sie sich bei Gefahr sofort dort verstecken konnten.
Lysander freute sich über Aarons Gesellschaft, und auch Lysette freundete sich bald mit der älteren Sarah an, und esdauerte nicht lange, da war es, als hätten die beiden genau wie Claudia immer schon zur Familie gehört.
E
s war kurz nach Lysettes vierzehntem Geburtstag, an einem kalten, dunklen Januarabend, als sie von Conrad völlig durchgefroren und mit nasser Kleidung zu mir in die Bibliothek gebracht wurde, wo ich der Familienchronik ein paar aktuelle Aufzeichnungen hinzugefügt hatte.
Ihr Mund war blutverschmiert und ich ahnte sofort Schreckliches.
»Was hast du getan?«, fragte ich daher alarmiert und erschüttert zugleich und hätte mir doch die Antwort selber geben können.
»Ich … ich weiß nicht …«, stammelte Lysette jedoch nur und sah mich an wie ein waidwundes Reh. Mit so viel Schmerz und Verwirrung in den Augen, dass ich ihren Blick kaum ertragen konnte. Warum nur hatte ich Conrads Theorie geglaubt, dass sich mein Vampirismus nicht zwangsläufig auf sie übertragen müsste, und darauf verzichtet, sie vorsorglich aufzuklären? Besonders nach dem, was mit Lysander geschehen war, wäre es meine mütterliche Pflicht gewesen, egal was Conrad, Friedrich und Klara mir rieten. Ich schämte mich zutiefst,
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