Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
mich so ungestüm an sich, dass mir die Luft wegzubleiben drohte. Wir umschlangen und küssten uns und es war eine Sache von wenigen Augenblicken, dass wir zurück in das Büro gingen und uns dort hinter der verschlossenen Tür in einen atemlosen Rausch der Begierde und der Lust fallen ließen.
Immer und immer wieder musste ich ihn küssen und dazwischen stammeln: »Dass du da bist, dass du wirklich wieder da bist … o Liebster … welches Glück …«
Kaum konnte ich glauben, dass er zurück war.
Später schlenderten wir Hand in Hand hinüber ins Gutshaus, wo Gretchen und Käthe Amadeus herzlich begrüßten, aber Amanda war schier toll, als sie seiner ansichtig wurde, klammerte wie ein Äffchen an ihm und wollteihn gar nicht mehr loslassen, sodass ich ein Machtwort sprechen musste.
»Amanda, nun lass den Vater doch erst einmal ankommen. Er ist erschöpft von der Reise. Lauf zu Mathias, damit er uns ein Feuer im Kamin entfacht und wir es ihm gemütlich machen können nach der schweren Zeit, die er gewiss an der Front hatte.«
Als das Feuer knisterte und Amadeus sich erfrischt hatte, saßen wir beim Tee, und Amanda und das Gesinde lauschten seinem Bericht von der Ostfront.
Amadeus war sehr blass und ausgezehrt von den Strapazen der Winterschlacht in den unwirtlichen Karpaten, wo sich die Russen in gut ausgebauten Verteidigungsstellungen in den Bergen der Hohen Tatra verschanzt und schlecht auf den Winter eingestellte deutsche Leihtruppen sich daran aufgerieben hatten.
»In den Karpaten?«, fragte ich verstört. »Du hast wirklich in den Karpaten gekämpft?«
Er sah mich irgendwie seltsam forschend an, ging aber auf meine Frage nicht sogleich ein. Erst später, als das Personal und Amanda uns verlassen hatten, erzählte er mir von einem Erlebnis, das mich zutiefst verstörte und alte Wunden in mir aufriss.
»Unsere Truppen waren für den harten Winter in den Bergen nicht ausgerüstet, die Versorgung mit dem Nötigsten blieb in den Schneeverwehungen stecken und es war unmöglich, die Verwundeten von der Front ins Hinterland zu transportieren.«
Amadeus vergrub das Gesicht in seinen Händen, damit ich seinen Schmerz nicht sah. »Wir konnten kaum Geländegewinne machen, hatten aber immens hohe Verluste durch die unwirtlichen Verhältnisse in Eis und Schnee.«
Er starrte geistesabwesend in die Flammen. »Der Frost und der Hunger haben uns letztlich besiegt, nicht die Russen!«
Ich lehnte mich an ihn, nahm seine Hand und begann sie zu streicheln, damit er zurückkam zu mir, zurück aus diesem Krieg, dessen Bilder ihm noch so erkennbar deutlich auf der Seele lagen. Er spürte mich und zog mich an sich. Lange verharrten wir so, eins ins andere verschlungen, die Nähe atmend und die Wärme genießend, die wir einander schenkten.
»Es ist ein Glück, zurück in der Heimat zu sein«, sagte er leise, »unversehrt an Leib und Verstand. Ein Glück, das viele Kameraden nicht erleben durften.«
Er stand auf, ging hinüber in das Schlafzimmer, wo er sein Gepäck abgelegt hatte, und kam mit einem zerknitterten Zettel zurück, den er mir in die Hand drückte.
»Ich habe dir etwas mitgebracht. Ein Dichter gab es mir, der als Sanitätsoffizier diente und sich im Lazarett in Krakau das Leben nahm. Er war dem Grauen des Krieges nicht gewachsen, diese Apokalypse von Sterben und Verwesung in dem Lazarett hat ihm nahezu den Verstand geraubt. Wir begegneten uns im Herbst des letzten Jahres an einem trüben Novembertag. Irgendwie fanden wir im Chaos des Leides zueinander und er gab mir dies. Am nächsten Tage war er tot. Gestorben an einer Überdosis Kokain.«
Ich starrte auf das Blatt, von dem mich einzelne Worte verzweifelt anschrien: … sterbende Krieger, wilde Klage, zerbrochene Münder, schwarze Verwesung …
Das alles war mir vertraut. Das war die Wirklichkeit des Krieges, heute wie vor Hunderten von Jahren. Eine Wirklichkeit, welche die gekrönten Kriegsherren nicht zu Gesicht bekamen an ihren grünen Tischen, an denen siedie Schlachtpläne austüftelten und die Truppen hin und her schoben, als wären es Zinnfiguren in einem spannenden Spiel. Die Wirklichkeit des Krieges hatte nichts Heroisches, nichts Ehrenhaftes, sie war einfach nur grausam, ekelhaft und entmenschlicht!
»Wie hieß er, der dies schrieb?«, fragte ich.
»Georg. Georg Trakl. Er war in Grodek in Ostgalizien eingesetzt, bevor er nach Krakau kam. Ich glaube, er war aus Österreich und weitaus jünger noch als Friedrich.«
In den nächsten Tagen wurde
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