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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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einem Bann belegten. Nach all den Schrecken, die ich in meinem Dasein erlitten hatte, war dies der entsetzlichste, denn ihr Heulenund Klagen glichen dem der verdammten Seelen im Fegefeuer, und die Schatten ihrer verwerflichen Taten huschten durch die verfallenen Mauern und trugen mit sich den Hauch von Pest, Tod und Verwesung. Ihre schwarze Energie zog mich nieder und nur unter größten Anstrengungen konnte ich meine Seele davor verschließen und so verhindern, gänzlich eine der ihren zu werden. Später begriff ich, dass es mein unerfüllter Racheschwur war, der mich beschützte, denn bevor nicht auch der Letzte der Przytuleks durch mich gerichtet war, hatten sie nur begrenzte Macht über mich.
    So hielt ich mich, so gut es ging, abseits von ihnen, suchte des Nachts die einsame Höhe des Bergfrieds auf und ließ dort im Mondschein den Wind durch mein langes Haar wehen, um so für wenige Momente die Luft der Freiheit zu atmen. Mein Geschick wendete sich, als die jungen Männer im Inneren der Burg mit Umbauarbeiten begannen, was die Untoten in hellen Aufruhr versetzte, mir jedoch sehr gelegen kam, da ich nun am letzten Przytulek meine Rache verüben konnte.
    Die jungen Männer hatten sich wegen der schlechten Witterung ein Lager vor dem großen Kamin in der Halle eingerichtet, und so war es mir ein Leichtes, den Przytulek in einer stürmischen Nacht zu beißen und vom Diesins Jenseits zu befördern. Da ich ihn einige Wochen beobachtet hatte und er ein sanfter und gar nicht boshaft wirkender Kerl war, dem man seine Abstammung von meinem Folterer nicht ansah, wählte ich diese harmlose Tötungsart, statt ihn, wie es möglich gewesen wäre, unterstützt von den Untoten in einem schauerlichen Ritual langsam und qualvoll zu ermorden. Was sie mir nicht verziehen, da sie sich davon bereits lüstern eine attraktive Abwechslung ihres tristen Daseins versprochen hatten.
    Wie auch immer, ich hatte mich also nach der jahrhundertelangen Irrfahrt durch Europa in der Überzeugung befunden,den letzten männlichen Nachkommen meines Peinigers getötet und damit endgültig das Geschlecht der Przytuleks ausgelöscht zu haben.
    Wie konnte ich ahnen, dass einer der Grafen auf dem Weg durch Schlesien die Tochter eines Leinewebers geschwängert hatte, die bereits mit einem anderen verheiratet war und sein illegitimes Kind stillschweigend ihrem Ehemann unterschob? Es war ein Junge, der einen guten Riecher für Geschäfte entwickelte, nach dem Tode seines Vaters die Leineweberei verkaufte und mit dem nicht unbeträchtlichen Erlös in der Tasche nach Berlin ging, um dort sein Glück zu machen. Sein Name war … Karolus Utz.

    Ladislav hatte mich foltern und töten lassen, weil er mich nicht besitzen konnte, doch Utz hatte sich all das, was ich Ladislav unter Opferung meines Lebens verweigert hatte, als mein angetrauter Ehemann rechtmäßig nehmen dürfen. Ohne dass es einer von uns geahnt hätte, waren wir durch die gnadenlosen Ränkespiele des Schicksals verbunden worden, um jeder Fluch und Schrecken des anderen zu sein.
    Doch fürs Erste blieb Utz verschwunden. Hansmann berichtete, dass er große Summen abgehoben hätte, um in Deutsch-Südwestafrika eine selbstständige Filiale seiner Kolonial- und Handelsbank zu gründen, die seine dortigen Geschäftsinteressen vertreten sollte. Seitdem hatte er nichts mehr von ihm gehört. Das war insofern nicht verwunderlich, als mit dem inzwischen erfolgten Kriegsbeitritt Englands eine Flottenblockade des Ärmelkanals einherging, was den deutschen Schiffsverkehr nach Übersee nahezu völlig zum Erliegen brachte und Utz den Rückweg nach Deutschland zunächst einmal abschnitt. So konnteich wenigstens in der Hinsicht aufatmen und schöpfte allmählich wieder Hoffnung. Langsam fand ich aus meiner todesschweren Melancholie heraus und zurück ins Leben und zu meinem Kind.
    Für Amanda musste doch mehr von mir bleiben als nur ein wenig Asche im Wind!
    Und so beschloss ich, die dunkle Chronik der Vanderborgs so lange fortzuschreiben, bis ich sie mit einem positiven Satz schließen konnte, und der sollte heißen:
    Und so lebten Estelle, Amadeus und Amanda glücklich auf Gut Blankensee bis an ihr seliges Ende.
    Aber das war ein Traum und es kam ganz anders.

    I m Frühjahr 1915 kehrte Amadeus von der Russlandfront zurück. Er stand ohne Ankündigung ganz plötzlich vor der Tür des Verwaltungstraktes und schloss mich, als ich ihm öffnete, wortlos in die Arme. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und presste

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