Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Gevatter hautnah neben sich gehabt und ihn sein blutiges Handwerk verrichten sehen.
Als ich mit Vanderborg vor dem Berliner Stadtschloss stand, schnürten mir die Sorge um Amadeus und Friedrich sowie dunkle Vorahnungen die Kehle zu. Ich konnte den ausmarschierenden Soldaten nicht zujubeln, wie es Hunderttausende von Berlinern taten. Wie eine Horde von Selbstmördern kamen sie mir vor, die vergeblich nach dem Sinn ihres Lebens suchten und ihre Gewehre trugen wie einen Zauberstab, der Hoffnungslosigkeit in Hoffnung verwandeln sollte. Vierzig Jahre Frieden – dahin!
So stand ich schweigend in der schreienden und klatschenden Menge und weinte und fühlte nur eins: Angst vor dem Untergang unserer vertrauten Welt und meiner Liebe.
Und als ich am Abend in der Brüderstraße in Estelles altem Zimmer Salben auf meine durch Utz’ Quälerei verbrannten Beine auftrug, die nur langsam heilen wollten, da stand das Abbild meines verhassten Ehemannes plötzlich so lebhaft vor mir wie ein böser Geist. Eine übermächtige Bedrohung, die mir die Luft abdrückte und meine Zukunft und die meines Kindes ebenso unheilvoll verfinsterte, wie es der Krieg auf seine Weise tat.
Auch Amadeus musste bald ausrücken. Er ging mit einer Abordnung des Generalstabs nach Galizien, wo die deutschen Militärs den österreichischen Verbündetengegen Russland nibelungentreu Bündnishilfe leisten und zunächst die Lage beobachten sollten. Verglichen mit Friedrich hatte er mit diesem Druckposten das bessere Los gezogen. Aber bald hörte man auch von dort die ersten Schreckensmeldungen und in Deutschland wuchs die Furcht vor einem Zweifrontenkrieg.
Ich schreibe an der dunklen Chronik der Vanderborgs und füge ihr ein weiteres unheilvolles Kapitel hinzu. Beide Männer, die ich liebe, sind im Krieg, und das Kind, von dem ich hoffe, dass Amadeus sein Vater sein möge, kann ich nicht mehr um mich ertragen, weil ich befürchten muss, dass doch Utz es war, der es zeugte. Ich halte das Schicksal für grausam genug, mir das auch noch anzutun.
Was habe ich nur getan, dass ich wohlmöglich nicht nur das Kind eines verabscheuungswürdigen Mannes austragen musste, sondern dass dieser auch noch ein Nachkomme meines Mörders und ärgsten Feindes Ladislav von Przytulek ist.? Ich selber habe ihn auch noch zu einem Vampir gemacht, der mir bald ebenbürtig sein und an mir seine Rache vollziehen wird für das, was ich seinen Ahnen angetan habe und für den von mir verschuldeten Tod seiner Geliebten.
Mein Schicksal wünsche ich niemandem, denn es ist für eine einzelne Seele nicht zu ertragen. Und während ich dies schreibe, wünsche ich mir nichts mehr, als dass Utz mich in die Sonne gezerrt hätte, damit ich darin vergehe. Aber diese Gnade wollte er mir nicht gewähren. Und so sitze ich hier gebeugt im Leid und niedergedrückt von der Liebe, die mich zur Verbrecherin machte, und frage mich verzweifelt, von woher mir Erlösung kommen kann außer vom Tod.
Die Angst vor Utz und die Sorge um Amadeus und Friedrich nahmen mir schließlich jede Kraft. So verschloss ich mich vor der Welt und selbst vor meinem Kind, dessen Erziehung und Pflege ich dem Personal von Blankensee überließ, und zog mich zurück in eine kalte Dunkelheit, in der ich alle meine Lebensfunktionen herunterfuhr und in einen nahezu todesähnlichen Schlaf versank.
Doch bald quälten mich wilde Albträume.
Es war nicht leicht gewesen, die Spur der Grafen von Przytulek durch halb Europa zu verfolgen, wie ein Spürhund an ihrer Fährte zu kleben und hinter ihnen herzuhecheln. Nach Deutschland, Österreich und Ungarn hatte es mich geführt, und sogar bis Frankreich war ich ihnen unter beschwerlichsten Umständen nachgereist.
Keiner war mir entkommen, und selbst als der Letzte in der jüngsten Vergangenheit zurückkehrte an den Ort der lasterhaften Verbrechen seines Urahnen und Wohnung am Fuße der verfallenen Burg nahm, um den alten Familiensitz wiederherzurichten, entkam er mir nicht.
Allerdings kostete es mich die Freiheit meiner Seele, sodass ich die Burg nicht mehr verlassen konnte.
Drei junge Männer waren es, die sich in den Kopf gesetzt hatten, dort mit Hotel und Schlossschenke ihren Unterhalt zu verdienen.
Nur einer von ihnen war ein Przytulek, aber als ich ihm am Fuße der Burg den Todeskuss geben wollte, mischten sich die anderen beiden dazwischen, und um nicht selbst in Gefahr zu geraten, floh ich in die Burg, geradewegs in die Fänge der dort hausenden Untoten, die mich ergriffen und mit
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