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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Vanderborgs Expedition in das »Vampirdorf« in den Karpaten zu finanzieren.
    »Bringt mir einen Vampir, Vanderborg«, sagte er, als dieser mit Estelle und Friedrich einige Monate später auf dem Anhalterbahnhof argwöhnisch das Verladen seiner Maschine auf die Eisenbahn beobachtete.
    »Bringt mir einen von diesen menschlichen Blutsaugern und ich mache Euch zu einem der reichsten Männer Berlins.«
    Die Reise in die Karpaten war beschwerlich. Nach dem Neubau des Anhalterbahnhofs fuhr die Eisenbahn jedoch unmittelbar vor den Toren Berlins bis Dresden und man gelangte nach einigen Linienwechseln an den Ländergrenzen relativ zügig und bequem bis nach dem zur damaligen Zeit österreichischen Krakau. So war die Reisezeit gegenüber einer reinen Kutschfahrt vergleichsweise erträglich. Lediglich das letzte Stück musste mit einer vierspännigen Mietkutsche zurückgelegt werden, an die auf einem Anhänger die Maschine angekoppelt war, was sich freilich als anstrengend genug herausstellte.
    Besonders für Estelle, die, inzwischen siebzehnjährig und eine junge Dame, schon von der Garderobe her für solche Reisen nicht ausgestattet war. Enges Korsett und bodenlange Röcke waren ihr so hinderlich, dass sie mehr als einmal ihr Geschlecht verfluchte und sich wünschte, ein Kerl wie ihr Bruder Friedrich zu sein, der praktischeBeinkleider tragen und mit ungeschnürter Brust frei atmen konnte.
    »Ich hasse es, eine Frau zu sein«, schimpfte sie wie ein Marktweib, zwirbelte ihre langen blonden Haare zusammen, türmte sie auf dem Oberkopf auf und zwängte alles unter den Hut, wie es sich für eine Frauensperson in der Öffentlichkeit ziemte. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und stöhnte über die Hitze und das bodenlange Kleid und die Knopfstiefeletten, in denen ihre Füße qualmten. »Und das soll eine moderne Reisekleidung für die Dame sein«, meinte sie ironisch, als sich beim Aussteigen aus der Kutsche der Rock verhedderte und Estelle sich einen ordentlichen Winkel hineinriss. »Na, gut, dass man mir wenigstens das Nähen beigebracht hat.«
    Friedrich lachte. »Aber ich wette, du kannst besser Schrauben ziehen und Drähte löten, als mit feinem Stich die Nähnadel führen.« Recht hatte er.
    Man quartierte sich in dem einzigen Gasthof des Ortes ein, der sich an den Fuß einer mächtigen Wehrburg aus dem 16. Jahrhundert drückte, und dessen Name unaussprechlich polnisch war: Przytulek. Ins Deutsche übersetzt lautete er »Zuflucht« und war wohl darauf zurückzuführen, dass sich in kriegerischen Zeiten Bauern und Kaufleute im Schatten der Burg niederließen, um vor den marodierenden Söldnerheeren Schutz zu finden.
    Der Friedhof der heruntergekommenen Burg erschien Vanderborg als der idealste Ort, um seine Maschine für den Fang von Vampiren einzusetzen. Ein nicht ungefährliches Unternehmen, denn die Bewohner von Przytulek, durch das Interesse der Gazetten an den unnatürlichen Todesfällen misstrauisch geworden, sahen in dem merkwürdigen Apparat auf dem Anhänger nichts weniger als Teufelswerk.Sie gingen, als er vor dem Gasthaus am Marktplatz abgeparkt war, nicht daran vorbei, ohne sich zu bekreuzigen und zu murmeln: »Gelobt seist du, Jesus Christus! Heilige Mutter Gottes, beschütze uns.«
    Wie die Polen im Allgemeinen als strenggläubige Katholiken gelten, so war es auch hier, und ein deutscher Erfinder aus Berlin, der auf ihrem Friedhof herumfuhrwerkte, musste in ihren Augen sehr eng mit dem Teufel im Bunde stehen. Generell war deutscher Zungenschlag in der Gegend nicht gerne gehört, denn nach den zahlreichen polnischen Teilungen litt die Bevölkerung unter wechselnden Fremdherrschaften. Zurzeit war dieser Teil Polens als Bestandteil der Provinz Galizien der k. u. k. Monarchie Österreich einverleibt, doch wusste keiner, wie lange noch. Wenn irgendetwas stabil war in Europa, so war es die nationale Instabilität Polens. Als das Ziel vieler Begehrlichkeiten bildete es einen ständigen Zankapfel zwischen Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich.
    Deutsche waren also per se nicht gerne gesehen in Zuflucht, und allein dem Liebreiz seiner Tochter hatte es Vanderborg zu verdanken, dass den Reisenden wenigstens Quartier im Gasthof bereitet wurde und sie nicht ein Zelt im Burghof aufschlagen mussten.
    Es war August geworden und das Land ächzte unter einer Hitzewelle. So kam es gelegen, dass Vanderborgs Versuch in der Kühle der Nacht stattfinden sollte. Man zog diskrete Erkundigungen über die

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