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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Weise sinnlos fand, so zog es mich doch immer wieder zu ihnen hin, denn sie waren wie Friedrich voller Leben und jugendlichem Enthusiasmus, der mich meine Melancholie, wenn nicht vergessen, so doch ein wenig relativieren ließ.
    Zudem hoffte ich unterbewusst, durch einen glücklichen Zufall hier irgendwo einmal Friedrich zu begegnen, der mich seit der Verlobung mit Utz gemieden hatte und dem ich um meines und seines Seelenfriedens willen den wahren Sachverhalt und Grund für mein Verhalten unbedingt erklären wollte.
    Es war kurz vor der Rückkehr von Utz aus den Kolonien im Spätsommer des Jahres 1902, als wir uns tatsächlich begegneten. Ein Maler hatte zu einer heimlichen Vernissage geladen, und als ich in die Betrachtung eines seiner mit wildem Strich gefertigten Porträts versunken war, stand Friedrich plötzlich neben mir und sagte: »Was hat man ihm nur angetan, er leidet wie ein Hund«, und ich wusste sofort, dass er nicht auf den gequälten Ausdruck des Mannes auf dem Porträt anspielte, sondern auf Amadeus.
    Und weil er so geradeheraus war, zog ich ihn in einen stillen Winkel und wählte ebenfalls das offene Wort.
    Was ich an Friedrich schätzte, war neben seinem Intellekt sein hohes Maß an Empathie, das ihn auch jetzt sehr schnell die Tragik der Situation erkennen ließ, an derweder Amadeus noch ich wirklich Schuld trugen, vielmehr ein gnadenloses Schicksal, das uns zu seinem Spielball gemacht hatte.
    »Wenn ich nur eine winzige Hoffnung hätte, Friedrich, dass unsere Liebe zu etwas Gutem führen könnte, ich würde Utz verlassen und zu Amadeus fliehen. Doch diese Hoffnung gibt es nicht und so ist Verzicht die einzige Möglichkeit.«
    Friedrich schüttelte den Kopf.
    »Das kann nicht sein. Er stirbt an Schwermut, wenn du ihm nicht doch noch eine Chance gibst.«
    Ich starrte Friedrich erschüttert an. »Verlangst nun auch du noch von mir, dass ich dem Utz gegenüber wortbrüchig werde und sittlich verwerflich handle? Ist dir denn nicht klar, Friedrich, was das für uns alle bedeutet? Wir sind verloren, wenn uns seine Rache trifft. Und sie wird uns treffen, mit unausweichlicher Konsequenz und in aller Härte.«
    Friedrich seufzte. »Muss er es denn erfahren?«
    Ich traute meinen Ohren nicht. »Du redest mir zum Ehebruch zu?«
    »Noch ist die Ehe nicht geschlossen.«
    »Aber beschlossen, und das ist fast, als wären wir schon einander angetraut. Und falls ich dich daran erinnern darf, auch der Kaufpreis für die Braut ist schon zu einem erheblichen Teil bezahlt, sonst könnten weder der Große Pilati noch dein Vater ihr Geschäft, wie sie es tun, weiterführen. An mir hängt mehr als nur der Seelenfrieden eines Leutnants.«
    »Du sprichst hart, Estelle, als hättest du kein Herz.«
    »Weil ich eins habe, spreche ich so!«
    Wir starrten einander an wie kampfbereite Bestien, und da das nun doch gar zu lächerlich war, musste ich ganzunwillkürlich meinen Mund verzogen haben, was auch Friedrich die Absurdität unseres Streitgesprächs vor Augen führte. Er lachte unsicher und nahm dann meinen Arm, um mich an seine Brust zu ziehen. Sanft strich er über meine Wange.
    »Estelle, ich will doch nur, dass ihr glücklich seid. Ihr seid die beiden Menschen, die mir am wichtigsten sind auf dieser Welt, er als mein bester Freund und du als meine Schwester. Ich kann euch beide nicht so leiden sehen.«
    Und weil ich wusste, dass er die Wahrheit sprach, kamen mir die Tränen und wider alle Vernunft stimmte ich einem weiteren Treffen mit Amadeus zu.
    »Sag ihm, ich warte auf ihn morgen Nacht am Steg an der Spree. Er kennt die Stelle und weiß schon wo.«
    Erleichterung stand in Friedrichs Gesicht, und damit ich es mir nicht noch anders überlegen konnte, drückte er mir einen raschen Kuss auf die Wange und machte sich überstürzt davon.
    Ich ging zurück zu dem Gemälde, vor dem wir uns getroffen hatten, versenkte meinen Blick erneut in das jammervolle Antlitz des Porträtierten und fragte mich, warum mir ein neues Leben in Estelles Körper geschenkt worden war, wenn es doch nur die Verlängerung meiner jahrhundertelangen Leiden bedeutete. Konnten nicht, nachdem ich nun mit dem Tod der letzten Nachfahren des Ladislav von Przytulek meinen Racheschwur erfüllt hatte, auch in mein Leben endlich ein wenig Liebe und Glück einziehen? Wäre eine kleine Entschädigung für vierhundert Jahre Qual, Erniedrigung und Ungerechtigkeit wirklich zu viel verlangt?
    Ich riss meinen Blick von dem Gemälde los.
    Von wem wollte ich diese

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