Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
her, um mich schließlich nackt, wie ich war, an mein kleines Bureau zu setzen und nach Papier und Stift zu kramen.
Denn während Estelles Wesen voll Neugier auf die Liebe war und an ihr wachsen und stark werden wollte, fürchtete ich die Schwächung durch sie.
War Liebe nicht letztlich nur ein Schmerz, an dem der stärkste Mann verzweifeln und die kühnste Frau zugrunde gehen musste? Ein uneinlösbares Glücksversprechen, dem zwangsläufig das Scheitern innewohnte?
Größeres wolltest auch du, aber die Liebe zwingt all uns nieder!
Ich schrieb es mit schönen Lettern auf einen Büttenbogen und stellte das Blatt gerahmt auf den Nachttisch an meinem Bett. Ein kluges Dichterwort, mir zur Mahnung!
Ich musste Amadeus vergessen, wir taten uns nicht gut.
Ich war eine Verheißung für ihn, die ich nicht einlösen konnte, und so würde, was groß begann, zwangsläufig im Elend der Enttäuschung enden. Heine hatte recht.
Die kalte Traurigkeit dieser Gewissheit ließ mich erstarren und ich saß lange leer und kalt auf der Bettkante. Hätte mich nicht irgendwann die Müdigkeit niedergeworfen, ich wäre zu einem dieser Marmorbildnisse geworden, die in Mausoleen ehrfürchtiges Gedenken an die Toten wecken. Wie schön es doch wäre, ganz friedvoll dort zu ruhen.
Ich vermochte es nicht, Amadeus aus meinem Herzen zu reißen, obwohl er von Adel und mir von diesen Herrenbisher selten Gutes geschehen war. Aber auch Amadeus schien nicht gewillt der Vernunft nachzugeben. Ein Jammer, dass Utz so bald schon nach unserer Verlobung in die Kolonien gereist war und mich ohne Aufsicht und Schutz allein bei Vanderborg zurückließ.
Gelegenheit macht Liebe und so siegte die Unvernunft unserer Leidenschaft und trieb mich immer wieder in die Arme von Amadeus, wenn er sie für mich öffnete, und das geschah nahezu ständig.
Zwar war er rücksichtsvoll genug, die Heimlichkeit zu wahren, um weder meinen Ruf noch den von Utz zu Schaden kommen zu lassen, aber er versuchte auch immer wieder, von mir eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen.
»Du kannst den Utz nicht heiraten«, sagte er ein ums andere Mal und auch bei unserem jüngsten Treffen, in einer Mondnacht an der Spree, verlangte er von mir, dass ich meine Verlobung lösen sollte. Wie gerne hätte ich es getan, doch es war mir unmöglich, ohne Vanderborgs Familie, den Großen Pilati und mich selbst und sicher auch Amadeus ins Unglück zu stürzen.
»Es geht nicht anders, Amadeus«, antwortete ich verzweifelt in seinen Armen, »ich bin ihm im Wort und also muss es geschehen.« Und dabei dachte ich zum ich weiß nicht wievielten Male, dass ich Amadeus unmöglich der Gefahr aussetzen konnte, die meine vampirische Natur für ihn bedeutete. Ich hatte an Friedrich gesehen, wie wenig ich meine Gier nach seinem Blute trotz aller Liebe, die ich für ihn empfand, zu zügeln vermochte, und wollte nun nicht riskieren, dass mein Geliebter zu meinem Opfer wurde. Irgendwann, befürchtete ich, würde der Punkt erreicht sein, an dem unkontrollierbar und vernichtend die andere,wilde Seite meines Wesens hervorbrach, die bis jetzt offenbar noch von Estelles Unschuld domestiziert wurde.
Weil er natürlich meine Gedanken nicht lesen konnte, stieß Amadeus mich zornig von sich, sprang aus der Kutsche, in der wir heimlich gekost hatten, und lief mit wilden Schritten am Ufer des Flusses entlang. Ich schaute ihm betroffen und schweren Herzens nach, denn es tat mir selber weh, ihm solchen Schmerz zufügen zu müssen.
Er kam lange nicht zurück, und so raffte ich den Mantel enger um mich, verließ ebenfalls die Kutsche und befahl dem Kutscher zu warten.
Der dachte sich wohl sein Teil und meinte ein wenig frech: »Ick stehe zu Diensten, och wenn der Herr Galan det Weite jesucht haben sollte! Wat icke, mit Verlaub, nich nachvollziehen kann, be Ihre Scheenheit.«
Beschämt machte ich mich davon, weil ich selbst in den Augen eines Kutschers aus dem Volke nicht als eine Dame gelten wollte, die sich den Männern für Geld anbot. So lief ich mit einem gewissen Ärger hinter Amadeus her, weil er mich in eine solche Situation gebracht hatte.
Ich musste lange laufen und fand ihn schließlich auf einem Steg am Wasser hockend, der in den Fluss hineingebaut war. Ein Kahn war daran angebunden und ein erster lauer Frühlingswind wehte leise raschelnd durch das Schilf.
Es war unmerklich März geworden und der Winter lockerte allmählich seinen kalten Griff. Der Fluss war eisfrei und so tanzten die Wellen mit dem
Weitere Kostenlose Bücher