Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
dennoch vorsichtig sein.«
So schlichen wir uns im Schutze der Nacht vor die Burg, verbargen uns hinter ein paar abgestellten landwirtschaftlichen Fahrzeugen und beobachteten den Eingang. Das Tor wirkte verwittert und vermodert, und ich konnte mir kaum vorstellen, dass hier tatsächlich der mächtige und von meiner Familie so gefürchtete Karolus Utz gelebt hatte. Als sich lange nichts rührte, wurde ich mutiger, und es drängte mich, in die Burg zu gehen.
Wir schlichen uns an das Gemäuer heran und fanden einen Seiteneingang, dessen Tür ich mit einiger Kraftanstrengung aufdrücken konnte.
Uns empfing Leere und Staub, so als hätte hier seit Jahrhunderten niemand mehr gewohnt. War alles, was meine Mutter hier erlebt hatte, nur eine Illusion
?
Doch plötzlich drangen Schreie an mein Ohr, nein, es war, als stießen sie ohne einen Umweg direkt in mein Gehirn. Robert griff sich mit einem gequälten Ausdruck im Gesicht an den Kopf. Namenloses Entsetzen sprach aus seinen Augen. Ich spürte, wie auch mir die grauenhaften Schreie den Verstand zu rauben drohten, aber ich konnte sie mit meiner Willenskraft zurückdrängen. Ich wusste sofort, dass es die toten Seelen waren, von denen meine Mutter berichtet hatte. Sie waren verflucht und an die Burg gefesselt, weshalb sie versuchten, jedes Lebewesen, das arglos in ihre Nähe kam, ebenfalls in den Bannkreis zu ziehen. Robert schien ihnen schutzlos ausgeliefert zu sein, jedenfalls begann er, wie ein Wahnsinniger im Kreis herumzulaufen, sich schreiend zu Boden zu werfen und seinen Kopf gegen die harten Steine zu schlagen. Obwohl mir selbst der Schädel zu platzen drohte, riss ich ihn hoch und raste mit ihm aus der Eingangshalle …
Wir flohen, verfolgt von den quälenden lautlosen Schreien, hinaus in die Nacht, erreichten atemlos den verfallenen Friedhof und rannten weiter, bis wir die letzten leer stehenden Häuser des Ortes hinter uns gelassen hatten und damit offenbar dem Einflussbereich der Untoten entkommen waren.
I
ch atmete erleichtert auf, als Amadeus in den Salon trat. Er kam mir gerade recht.
»Von was für einer Blutfehde schreibt Lysette?«, wandte ich mich ohne Umschweife an ihn. »Was ist das für eine Geschichte mit diesen Grafen von Przytulek?« Für mich klang das irgendwie nach Romeo und Julia, nach Capulets und Montagues, und versprach romantischen Thrill.
»Willst du es nicht selber lesen?«, fragte Amadeus offenbar gar nicht begeistert, darüber zu reden. »In Estelles Aufzeichnungen steht ganz genau, wie alles angefangen hat.«
Ich unterbrach ihn. »Das nützt mir nichts, weil ich diese Schrift nicht lesen kann … jedenfalls sind mir viele Buchstaben völlig fremd und das ist verwirrend … was ich bisher las, habe ich teilweise nur erraten können …« Ich sah ihn bittend an. »Ich werde die Schrift lernen, ganz bestimmt, dann lese ich auch, was Estelle aufgezeichnet hat. Aber es wäre schon hilfreich, wenn du mir ein paar Dinge vorab erklären könntest, die für das Verständnis der Familiengeschichte unerlässlich zu sein scheinen.
Amadeus lächelte. »Ich stehe zu deiner Verfügung.«
»Also, was ist das mit dieser Burg und den Grafen von Przytulek und dieser Blutfehde?«
Amadeus setzte sich in einen der Kaminsessel und stocherte die Glut an. Dann sah er in die Flammen und begann zu erzählen.
»Du hast doch gelesen, dass der Stammvater des dunklen Zweigs der Vanderborgs der Erfinder Jakob Vanderborg war?«
Ich nickte, obwohl er mich gar nicht anblickte.
»Du weißt auch, dass er eine Maschine erfunden hat, mit der er in den Karpaten Vampire fangen wollte.«
»Ja, dabei ist etwas schiefgegangen und in den Körper seiner siebzehnjährigen Tochter Estelle ist die Seele einer vierhundert Jahre alten Vampirin gefahren.«
»Richtig. Eleonore, so hieß diese Vampirin, war als blutjunges Mädchen von dem Grafen Ladislav von Przytulek auf grausame Art getötet worden, weil sie ihm das Recht der ersten Nacht verweigert hatte. Im Tod sprach sie den Fluch aus, dass sie nicht eher ruhen würde, bis auch der letzte männliche Nachkomme der Grafen von Przytulek durch ihre Hand getötet worden wäre. Dieser Fluch scheint durch das gescheiterte Experiment ebenfalls auf die Vanderborgs übergegangen zu sein.«
»Wieso? Lebt denn von denen überhaupt noch jemand?«
Amadeus lachte, weil ihm meine Frage wohl etwas sehr naiv klang. Aber er sagte: »Du hast recht, Louisa. Eleonore hatte ganze Arbeit geleistet. Rastlos hat sie in ihrem
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