Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
vierhundertjährigen Leben das Grafengeschlecht durch halb Europa verfolgt. Als sie in den Körper von Estelle versetzt wurde, da glaubte sie den letzten Nachkommen auf der Burg getötet zu haben … Aber das war ein Irrtum, denn es gab einen illegitimen Nachkommen … Karolus Utz! Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ist jedoch auch er zu einem Vampir geworden, der nun seinerseits den Vanderborgs Blutrache geschworen hat. Als Vergeltung für seine von Eleonore getöteten Ahnen.«
Ich starrte Amadeus erschüttert an. »Du … du … meinst… er lebt noch … und …« Mir blieben die Worte im Halse stecken.
»Ja, Louisa, er würde auch dich töten, wenn er dich hier anträfe.«
»Du … du machst Witze«, sagte ich unsicher mit einem schiefen Grinsen.
»Damit wohl kaum.« Er sah mich ernst an und in seinen Augen brannte ein gelbes Feuer. »Das ist ein weiterer Grund, warum auch du eine Vampirin werden solltest … Nur so wirst du ihm gewachsen sein.«
»Aber er hat sich nie um uns gekümmert! Weder um Großmutter Lysette, noch um meine Mutter Hannah oder mich. Warum sollte er es jetzt plötzlich tun? Weiß man überhaupt, wo er nach dem Krieg abgeblieben ist? Vielleicht ist er längst zu Staub zerfallen.«
»Ja, vielleicht«, meinte Amadeus leichthin und ließ mich allein.
Das passte mir jetzt zwar gar nicht, weil ich ihn gerne noch mehr gefragt hätte, aber ganz offensichtlich meinte er, genug erzählt zu haben. So versuchte ich weitere Informationen aus der Chronik zu ziehen.
Nach einer entbehrungsreichen Flucht hatten Lysette und Robert im Februar 1944 Berlin erreicht.
Es war Nacht und der Himmel über der Stadt rot gefärbt. Ganze Straßenzüge standen in Flammen. Wir kämpften uns durch Rauch und panische Menschen zur Brüderstraße in Berlin-Mitte durch, nur um festzustellen, dass dort kein Stein mehr auf dem anderen stand.
»Lass uns nach Blankensee gehen«, flüsterte ich schockiert und rang nach Luft. »Das hätten wir gleich machen sollen. Keiner, dernicht muss, wird sich zurzeit hier aufhalten. Wie es aussieht, ist die Stadt Ziel verheerender Bombenangriffe gewesen.«
Robert nickte und wir schlugen uns in Richtung Charlottenburg durch, von wo wir über Grunewald nach Potsdam und von dort weiter nach Blankensee wollten.
Unbewusst lenkte mich mein Schritt an der Villa von Utz vorbei. Auch sie hatte offenbar schwere Treffer hinnehmen müssen und wirkte verlassen. Als sie vor uns auftauchte, ertönten plötzlich die Sirenen und kündigten Fliegeralarm an. Ohne lange nachzudenken, flüchteten wir in das Kellergeschoss der Villa, in das wir kurzerhand durch ein zerbrochenes Fenster einstiegen. Unmittelbar über uns krachte eine Bombe ins Treppenhaus und setzte es in Brand. Wir hetzten den Kellerflur entlang.
Ein Teil des Kellergeschosses gehörte zum Tresorraum des Bankgebäudes, welches den vorderen Teil der Villa einnahm. Er war mit Stahl und Beton massiv und einsturzsicher gebaut, sodass wir hier mindestens so sicher waren wie in einem Luftschutzbunker. Die Türen standen alle offen, auch die Stahltür zum Tresorraum, so als hätte jemand in höchster Eile hier Geld und Wertgegenstände zusammengerafft, bevor er floh. Das konnte ja nur Utz gewesen sein.
Ich atmete erleichtert auf. Er wäre der Letzte gewesen, dem ich hier hätte begegnen wollen. Wir gingen den Flur entlang, um zu sehen, ob sich außer uns noch jemand hierher gerettet hatte, aber wir fanden niemanden. Schließlich standen wir am Ende des Flurs vor der einzigen verschlossenen Tür.
»Seltsam«, sagte ich und nahm das Kettenschloss nachdenklich in die Hand. »Warum ist diese Tür verschlossen, während alle anderen offen stehen
?
Was mag dahinter sein
?
«
»Der Weinkeller vielleicht«, meinte Robert ironisch. »Komm, lass uns zurückgehen. Im Tresorraum sind wir am sichersten.«
Er hatte recht, aber irgendetwas hinter dieser Tür zog mich magisch an, ja, mich erfasste ein völlig irrationales, aber unbändiges Verlangen, das Schloss zu knacken und sofort diese Tür aufzureißen. Ich stand wie unter einem Zwang, als ich die Kette ergriff und mit aller Kraft daran zerrte, um sie zu sprengen.
»Lysette! Was soll das
?
« Robert schüttelte irritiert den Kopf.
»Ich … ich muss in den Raum! Ich muss sehen, was darin ist. Ich … ich … habe das Gefühl, dass es wichtig für mich ist … immens wichtig … wirklich, Robert, ich spüre es ganz stark!«
Robert war nicht überzeugt und so versuchte er mich in
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