Die dunkle Horde: Ein Trolle-Roman (German Edition)
Tod. Zwischen den Gesprächen vernahm sie immer wieder das Stöhnen und Keuchen der Verwundeten. Ein Onoi lachte rau auf, klopfte sich mit der flachen Hand auf den nackten Bauch.
»Haben wir Gefangene gemacht?«, erkundigte sich Deilava, ohne es zu wagen, sich von der Mauer zu lösen. Es war, als ob ihr der Stein etwas von seiner Festigkeit schenkte. Ihr Kopf war so leicht, dass sie fast Angst hatte davonzuschweben, wenn sie ihn nicht mehr berührte.
»Weniger als ein Dutzend. Die kleinen Bastarde haben sich nicht ergeben. Wir mussten jeden Einzelnen überwältigen.«
Narem bemerkte ihren Blick zu den Toten und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Wie viele?«
»Zu viele«, antwortete er leise.
Sie nickte. »Die Keibos werden ihre Toten mitnehmen wollen, um sie mit ihren eigenen Riten zu verabschieden. Der Rest kann seine Ruhe hier finden. Wir bitten die Geister um ihren Segen und lassen sie hier, wenn wir alles niederbrennen.«
»Der Rauch wird sie emportragen. Es ist nur richtig, dass sie an diesem Ort bleiben. Hier haben sie uns alle mit ihrem Blut verteidigt.«
»Die Zwerge auch.«
Er zögerte, dann nickte er.
Die Geister machten keine Unterschiede. Und im Tod waren die Zwerge keine Feinde mehr. Es war bei ihrem Volk schon immer Brauch, die Toten der Natur zu übergeben. Deilava hatte den Riten der Keibos nie beigewohnt, sondern nur Erzählungen von den vielstimmigen Gesängen gehört, mit denen die Trauernden den Gang der Toten in die Welt der Geister begleiteten. Onoi verbrannten ihre Toten, wenn es möglich war, und sie würden keine Einwände haben, während Tuun die Berührung des Todes fürchteten und es nicht wagten, Leichen ohne besonderen Schutz anzufassen. Für sie waren Leichen leere Hüllen, längst verlassen vom Geist, nur noch vom Tod selbst besessen, und man konnte ihn sich wie eine Krankheit zuziehen, wenn man sich nicht vorsah.
Deilava stieß sich von der Wand ab. Noch wirkte der Boden unter ihren Füßen nicht so fest und sicher, wie sie es gewohnt war, doch weder gaben ihre Knie nach, noch schwebte sie der Morgensonne entgegen. Sie strich sich mit zittrigen Fingern über ihr langes Haar. Viele Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst, waren verkrustet mit Schmutz und Blut. Notdürftig schob sie alles nach hinten und aus ihrem Gesicht. Eine Wunde verunzierte ihren Unterarm, ein langer Schnitt, der dank der Macht der Geister bereits wieder heilte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, was sie getroffen hatte.
»Wir brechen gegen Mittag auf!«, rief Narem, der in die Mitte des Hofes getreten war. Sofort schwiegen alle und lauschten seinen Worten. »Dieser Ort wird brennen. Nehmt mit, was ihr wollt.«
Es kam etwas Bewegung in die erschöpften Krieger. Die Keibos begannen, die Gebäude der Zwerge zu durchsuchen, auch wenn diese deutlich zu klein für sie waren, was zu allerlei Flüchen und Witzeleien führte. Weder Onoi noch Tuun machten sich viel aus Besitz und schon gar nicht aus dem der Zwerge. Auch die Elfen nahmen nur wenig, hier und da einige Vorräte für den Heimweg.
Ein junger Krieger hatte eine Zwergenaxt aufgehoben und schwang sie einige Male durch die Luft, wobei er fast das Gleichgewicht verlor. Auf einen spöttischen Zuruf hin ließ er die schwere Waffe verächtlich fallen. Mehr als einmal hatte Deilava gesehen, was eine solche Axt in den Händen der Zwergenkrieger anrichten konnte, aber es entsprach nicht der Art der Elfen. Und auch nicht jener der anderen Waldvölker.
Während die ersten Vorbereitungen für den Aufbruch begannen, schritt Deilava langsam zu den Toten hinüber. Lieber wäre sie einfach weitergezogen, hätte diesen Ort hinter sich gelassen, aber sie schuldete ihren Gefährten diesen letzten Gang, so schwierig er auch war.
Einige der Gesichter erkannte sie nicht, andere hatte sie nur hier und da kurz gesehen. Bei wieder anderen kannte sie einen Namen, konnte sich an gewechselte Worte erinnern. Inisa lag neben einem Keibos, dessen Brust gespalten war, sodass die Knochen hell inmitten der blutigen Masse leuchteten. Sie hatte die Augen geöffnet, diese hellen, fast weißen Augen, die selbst in mondlosen Nächten im dichtesten Wald noch jede Bewegung hatten wahrnehmen können. Dünne Linien getrockneten Blutes liefen von Mund und Nase über ihre Wange, vereinten sich auf der hellen Haut. Deilava stockte der Atem. Es kostete sie all ihre Kraft, auf den Beinen zu bleiben. Sie wollte die Augen schließen, sich abwenden, doch sie zwang sich
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