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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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– ließen auf so etwas wie einen gewaltsamen Umsturz schließen. Gegen
die Königin. Zum Wohle des Kontinents.
    Aber andererseits –
Baladesar?
    Baladesar würde niemals
an heimlichtuerischen Gewaltakten mitwirken. Er trug immer alles, was er tat,
ins volle Licht. Der geborene Advokat. Sein Auditorium war jeder, der bereit
war zuzuhören.
    Der Kreis mußte das
wissen. Jemanden wie Baladesar würden sie für einen Direktangriff auf den Thron
nicht haben wollen. Und auch nicht einen General, der den Frieden schätzte.
Oder einen Bergführer. Oder einen Rathausschreiber aus Kuellen.
    Vielleicht durfte Naenn
gar nicht erklären, worum es ging.
    Vielleicht konnte Rodraeg
aber auch nicht verstehen, worum es ging, bevor er sich nicht darauf einließ,
und sie wußte das.
    Als der Morgen sein
Zimmer im Quellenhof in Ahnungen von Licht tauchte,
setzte Rodraeg sich auf die Bettkante und sah sich um.
    Ein möbliertes Zimmer
mit Bett, Schrank, Kommode, Tisch und Stuhl, in dem beinahe nichts ihm selbst
gehörte. Kleidungsstücke, die in einen einzigen Seesack passen würden. Sein
Säbel mit der abgewetzten Scheide. Ein Notizpergamentbuch mit verworfenen
Tagebuchskizzen, ein paar Gedichten und Schilderungen einiger
Larnwaldwanderungen. Zwei echte Bücher, mehr nicht, weil das Rathaus über eine
recht gute Bibliothek verfügte. Das Schwert im Baum ,
der Lebensroman eines Abenteurers namens Korengan, der im Wald von Thost
aufgewachsen war und später den ganzen Kontinent durchwandert hatte. Und ein
schmales Lyrikbändchen mit dem Titel Je weiter das Wasser – Gedichte von einem jungen Aldavaer Poeten namens Jit Ellnend. Darunter
Rodraegs Lieblingsgedicht:
    Â 
    Erinnerst
du dich noch
    an
alles
    was
anklang?
    War
alles
    von
echtem Belang?
    Es
nähert sich doch
    jedes
Ende
    dem
Anfang,
    je
weiter
    du
folgst
    dem
Gesang.
    Außerdem besaß er noch
Rasierzeug, ein Messer, ein Kästchen mit einem Zündstein und Zunder sowie ein
Säckel mit angesparten Talern, 85 an der Zahl. Das war es auch schon. Die Summe
seines Lebens. Bis jetzt.
    Er konnte all das
nehmen und gehen. Der Bürgermeister würde ihn vermissen. Der eine oder andere
Kuellener vielleicht. Aber niemand so sehr, daß die Zeit ihn nicht trösten
würde. Er konnte auch bleiben und so weitermachen, und das wäre ebenfalls in
Ordnung. Er brauchte keiner Geheimorganisation zu beweisen, was für ein toller
Kerl er war. Er brauchte nicht irgendwo anders zu kämpfen, zu fallen und zu verrecken,
um seinem Leben einen Sinn zu geben.
    Er konnte genau so gut
eine Münze werfen.
    Oder sich dem Mädchen
aus dem Schmetterlingshain anvertrauen.
    Ihr näherte sich jeder
Gedanke.
    Kurz bevor er zur
Arbeit mußte, wurde er endlich so müde, daß er hätte einschlafen können. Aber
dazu war es jetzt zu spät.
    Er zog sich um, wusch
sich, frühstückte hastig in der Schankstube Weißbrot mit Brombeermarmelade,
Milch und zwei Stück Rosinenkuchen vom Vortag und eilte durch die breiten und
sauberen Gassen der kleinen Stadt zum Rathaus. Wenn er um elf schon Feierabend
machen wollte, mußte er in den Stunden bis dahin einiges wegschaffen. Dennoch
gönnte er sich auf dem Rathausvorplatz einen Rundumblick. Es war zwar noch
Taumond, das neue Jahr erst sechzehn Tage alt, aber das Wetter war mild und der
Platz bereits mit Kübeln voller frühblühender Blümchen geschmückt. Die
Fachwerkhäuser waren hell und freundlich, das Rathaus selbst war reich verziert
und mit einer umlaufenden Ahnenreihe der bereits verstorbenen ehemaligen
Bürgermeister bemalt. Eines Tages würde auch der jetzige Bürgermeister dort
verewigt sein, freundlich und einnehmend wie im Leben, und es ärgerte ihn
wahrscheinlich täglich, daß er das nicht mehr selbst würde erleben können.
    In nordwestlicher
Richtung konnte Rodraeg die dunkelgrünen Hänge des Larnwaldes sich gegenseitig
überbieten sehen. Ein Wanderer würde gute zwölf Tage brauchen, um diesen
gewaltigen Wald in gerader Linie von Kuellen bis zu den Ausläufern der
Kjeerklippen zu durchqueren. Ein Reich der immerwährenden Schatten, Pilze,
Moose und Nadelhölzer. Heimat der gefährlichen Flechtenwölfe, Baumspinnen,
Wurmdrachen und – Schmetterlingsmenschen.
    Im Rathaus war bereits
Betrieb. Kepuk schlug sich schon mit einem Abgesandten aus Somnicke herum. Der
alte Yornba, der ohnehin nie lange schlief und

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