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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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deshalb morgens meistens als
erster aufkreuzte, saß in seiner Schreibstube und kritzelte mürrisch Kopien.
    Rodraeg setzte sich an
seinen Tisch. Die Encyclica lag immer noch dort. Er widerstand der Versuchung,
sich das Mammut noch einmal anzusehen und machte sich an die Arbeit.
    In den folgenden
Stunden erledigte er die Ablehnung einer Kostenbeteiligung an Pargo Abims
Maulwurfsproblem, formulierte eine ausgesprochen höfliche Absage an die
Kjeer-Priester, begann damit, nicht nur die Mahnung des Tontopfhändlers Hinnis,
sondern auch noch die ausstehenden Posten anderer Händler zu sammeln und zu
ordnen, und vollendete seinen Bericht über das Kuhmistproblem unter Berufung
auf einen Präzedenzfall von vor drei Jahren. Der Bauer durfte seinen Kuhmist
auf seinem Feld verteilen, so oft er wollte, denn schließlich war er Landwirt.
Dem Seidenmaler dagegen stand ein kleiner Anteil des auf dem kuhmistgedüngten
Feld geernteten Ertrags zu, denn schließlich war er der Leidtragende.
Erfahrungsgemäß würde Bauer Tlech nun alleine schon aus Geiz sparsamer düngen.
    Gegen die immer wieder
aufwallende Müdigkeit schüttete Rodraeg Unmengen des dunkelstmöglichen Tees in
sich hinein. Der junge Reyren schaute vorbei, bedankte sich für die
Brückenmappe und fragte, ob Rodraeg die letztjährige Abgabenmappe irgendwo
gesehen hatte. Kepuk schaute vorbei und legte Rodraeg zwei neue Aufgaben auf
den Tisch: eine Überprüfung der zu erwartenden Unkosten für das bevorstehende
Arisp-Fest sowie die mit schwer zu entziffernder Handschrift und äußerst
erfinderischer Rechtschreibung verfaßte Anfrage eines Waldläufers, der seine
Dienste als Flechtenwolfjäger anbot.
    Rodraeg machte sich
zuerst ans Dichten für die Wirtin, aber ihm fiel überhaupt nichts ein. Sein
Geist war wie leergefegt, fühlte sich aber gleichzeitig an wie zum Zerreißen
gespannt. Mehrmals schlenderte Rodraeg möglichst unbeteiligt durch den
Haupteingang, um einen Blick auf die Sonnenuhr zu werfen, und schlenderte
anschließend wieder zurück.
    Der Bürgermeister
schaute vorbei und wollte die Aufstellung der Arisp-Fest-Kosten sehen. Rodraeg
vertröstete ihn auf den Nachmittag. Reyren klopfte an und sagte, er hätte die
Abgabenmappe gefunden, suche aber jetzt eine handschriftliche Notiz des
örtlichen Bäckergildenvorstands. Ein Junge brachte neue Tinte. Jedesmal zuckte
Rodraeg zusammen.
    Dann war es endlich
elf.
    Rodraeg brauchte sich
nicht abzumelden, es war nicht ungewöhnlich, daß ein Schreiber während seiner
Arbeitszeit etwas außerhalb des Rathauses zu erledigen hatte.
    Er sah Naenn sofort.
Sie stand in ihrem Kapuzenmantel zwischen den Schmuckkübeln und aß einen gelben
Apfel.
    Â»Ich freue mich. Guten
Morgen«, sagte sie freundlich.
    Â»Ebenfalls«, nickte
Rodraeg. Er fror jetzt mehr als am nachtkühlen Morgen, wußte nicht, wohin mit
seinen Händen und vermißte seine warme Winterjacke mit den geräumigen
Seitentaschen. »Leider gibt es in Kuellen nicht viel zu sehen, außer den
Quellen, die dem Ort seinen Namen gaben.«
    Â»Gehen wir.«
    Wie Eis schimmerte es
in der Tiefe. Bläulich, grünlich, irisierend. Da war nicht nur eine sanfte
Strömung, die unabänderlich von hier ausging, sondern tatsächlich ein Leuchten,
ein Ursprung magischer Energie.
    Rodraeg und Naenn
standen am mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Holzgeländer, das die
Hauptquelle des Larnus umrahmte. Es gab hier noch vier weitere solcher Quellen,
außerdem kristallklare Rinnsale von östlichen Hügelkuppen und aus der taufeuchten
Finsternis des Waldes, doch dies hier war die größte. Hier entsprang Larnus,
einer der drei großen Flüsse des Kontinents: Larnus, Anera und Epheret. Vor
Urzeiten war hier ein Tempel angelegt worden, ein Tempel des Wassergottes
Delphior, doch irgend etwas war mit den Priestern geschehen, sie waren nicht
mehr hier. Schon vor Jahrhunderten hatte der Larnwald das von Säulen getragene
Gebäude übernommen, Mauern durch Wurzeln gesprengt und das helle Gestein mit
Flechten und Moosen verkleidet, bis es fast unsichtbar wurde – auch, wenn man
genau davorstand.
    Rodraeg war in seinem
ersten Kuellener Jahr oft hiergewesen. Später hatte ihn gestört, daß viele
Reisende hierherkamen, überall mit ihrem Proviant herumtrampelten und
-krümelten, während lustlose, vom Rathaus bezahlte Fremdenführer

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