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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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allzu große Rolle spielte das nun auch
nicht mehr. »Ach, eines noch«, sagte sie mit der Klinke in der Hand. »Ihr habt
vorhin von einem Mammut geträumt, nicht wahr?«
    Â»Woher wißt Ihr das?«
    Â»Wir aus dem
Schmetterlingshain haben manchmal die Gabe, die Träume von Menschen zu sehen.
Manchmal. Es gibt nicht mehr viele Menschen heutzutage, die von Mammuts
träumen.«
    Â»Ich habe ein Bild
gesehen, in einem Buch. Aber mein Traum war anders als das Bild. Das Bild zeigt
ein erwachsenes Mammut, ich jedoch träumte von einem Jungtier.«
    Naenn lächelte
rätselhaft. »Ihr habt von einem Kind geträumt. Von einem ausgestorbenen Kind.
Ein Teil von Euch bedauert, daß es keine Mammuts mehr gibt. Ich freue mich
darüber. Gute Nacht.«
    Sie schloß die Tür, und
Rodraeg blieb allein im Rathaus zurück.
    Â»Gute Nacht«, sagte er
zu den Lampen, den Sesseln und den Wandteppichen.
    Wie seltsam es doch
war, mit einer Fremden einen Traum zu teilen.

2

Quellen hell
    In dieser Nacht fand
Rodraeg kaum noch Schlaf. Je mehr er sich bemühte zu ermüden, desto wacher
wurde er.
    Wie unwirklich ihm
alles vorkam. Traumähnlich. Vielleicht lag er in Wirklichkeit nicht im Bett
seines Zimmers im Quellenhof , sondern saß immer noch
vornübergesunken an seinem Schreibtisch im Rathaus und träumte von duftenden
Schmetterlingsmädchen, die ihn bei der Hand nahmen und hineinführten in den
tiefen unbekannten Wald.
    Rodraeg dachte über
sein Leben nach. Die vielen verpaßten Gelegenheiten.
    Das Geschäft seines
Vaters zu übernehmen und fortzuführen und ein wohlhabender Mann in den
Sonnenfeldern zu werden. Dankend verzichtet, weil es ihm zu langweilig vorkam.
Der Schmerz darüber, seinen Sohn weggehen zu sehen, hatte den Vater Delbane so
schwer getroffen, daß er später der großen Dürre nichts mehr entgegenzusetzen
hatte.
    Dann die
Abenteurerlaufbahn. Im Sande verlaufen, weil weder er noch Baladesar mutig und
skrupellos genug gewesen waren, sich mit einer Waffe in der Faust ein eigenes
Glück zu schmieden.
    Der Beruf in der
Hauptstadt. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit fallengelassen.
Geflüchtet. Auch vor Baladesars sich anbahnendem Familienglück. Mehr Fesseln,
mehr Ketten. Ihr habt von einem Kind geträumt , hatte
Naenn gesagt. Das stimmte nicht. Das hatte er noch nie.
    Statt dessen eine
Flucht nach vorn: das Turnier von Endailon. Der Traum von einer wirklich
großartigen Tat. Ein Versuch, alles niederzureißen und aus den Trümmern etwas
Neues zu schaffen. Vorbereitungen wie ein Berufsgladiator. Das Wiederentdecken
von Muskeln und Balance. Doch gescheitert, weil zu viele der anderen Träumer
einfach stärker waren.
    Die kurze Zeit als
Lehrer. Kreischende Lausebengel und Erwachsene, die selbst des Sprechens kaum
mächtig waren. Auf verlorenem Posten in einer vergessenen Gegend zwischen
Kjeerklippen, Felsenwüste und den finstersten Schründen des Larnwaldes.
    Schließlich Kuellen.
Erträglich, weil überschaubar und dabei nie vollkommen vorhersehbar. Man konnte
sich einarbeiten in ein immer wiederkehrendes Mühlrad aus Sorgen und
Begehrlichkeiten und tatsächlich Ergebnisse erzielen, schon mit kleinen Tricks
und Umgewichtungen. Die Tatsache, daß ein anderer für alles die Verantwortung
trug und auch den Ruhm einheimste, war Rodraeg immer eher angenehm als lästig
gewesen.
    Und jetzt das. Ein
Märchenwesen schwebte durch eine verschlossene Tür zu ihm hinein in die Nacht
und wollte ihn entführen, auf eine Queste, die mehrere Jahre dauern würde, zum
Wohle des gesamten Kontinents und – wenn es sein mußte – gegen die Königin. Worum
es dabei eigentlich genau gehen sollte, hatte Naenn vergessen zu erwähnen. Oder
absichtlich verschwiegen. Oder er hatte vergessen, danach zu fragen, viel zu
sehr damit beschäftigt, die leuchtenden Farben abzuschwächen, in denen sie sein
Leben malte.
    Vielleicht hatte er
auch gar kein Recht zu fragen. Er würde bezahlt werden und hätte seinen Auftrag
zu erfüllen, ohne sich Gedanken zu machen, ohne zu hinterfragen. Rodraeg, der
Söldner.
    Die Bezeichnung der
Auftraggeber als »Geheimorganisation«, die angestrebte Ausbildung von weiteren
Mitstreitern sowie die seltsamen Kandidaten auf Naenns Liste – ein unbequemer
General, eine Bezeugerin von Notständen, ein kraxelnder Naturbursche und ein unabhängiger
Abenteurer

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