Die dunkle Quelle
zusammen unter dem Rauschen des Regens, es ist nur
natürlich, daà ich in Eurem Kopf stattfinde.«
»Aber ich bin ein Mann,
und Ihr seid eine Frau. Und es könnte verdammt nochmal sein, daà ein Gedanke
dabei ist ⦠Ach, Ihr wiÃt schon.«
»Ja, ich weiÃ. Glaubt
Ihr wirklich, eine Frau muà Gedanken lesen können, um die Gedanken eines Mannes
zu erraten? Wir haben eine Aufgabe, die wichtiger ist als wir. Ich denke, das
ist uns beiden klar. Es ist nur natürlich, neugierig zu sein. Ich bin ein Schmetterlingsmensch.
Ihr habt über meine Flügel nachgedacht. Es ist also nichts passiert.«
Rodraeg wuÃte nicht,
wieviel Hinnis von dieser Unterhaltung mitbekommen hatte. Wahrscheinlich nicht
allzu viel, der Regen prasselte laut auf seinen Hut, auf die Plane, auf alles.
Jedenfalls schwieg der Händler. Die Pferde trotteten weiter. Der Wagen ruckelte
vorwärts.
Mit der Zeit verrauchte
Rodraegs Aufgebrachtheit. Er durfte auch nicht ungerecht sein. Es war keine
Absicht von ihr gewesen. Sie hatte sich entschuldigt. Ihm seine Gedanken
vergeben. Ihm seine Frage beantwortet.
»Rötlich mit hellblauen
Rändern«, wiederholte er. »Das sieht gewià wunderschön aus. Könnt Ihr mit
diesen Flügeln fliegen?«
Naenn lächelte jetzt
traurig. »Es gibt Ãberlieferungen aus Zeiten, als mein Volk tatsächlich fliegen
konnte. Mit den Flügeln eines Schmetterlings den Schwingenschlag der Taube. Das
muà ein herrliches Bild gewesen sein, wenn unter dem Mond sich alle in den
Himmel erhoben, um ein rauschendes Fest zu tanzen, leuchtend wie Lampions. Aber
das ist lange her. Damals muÃten wir uns noch nicht im Wald verbergen, sondern
herrschten über Wiesen und Seen. Die Flügel sind verkümmert. Meine sind nur
noch eine Bürde. Sie sind sehr empfindlich, und sie schmerzen an bestimmten
Tagen des Mondes.«
Rodraeg schluckte. Er
glaubte zu wissen, worauf sie anspielte. »Das bedeutet«, versuchte er das Thema
zu wechseln, »daà die Schmetterlingsmenschen erst in Wäldern leben, seitdem sie
genau genommen keine Schmetterlingsmenschen mehr sind.«
»Stimmt.«
»Das ist neu für mich.
Denn für uns âºNichtsbesonderesmenschenâ¹ sind die Begriffe
âºSchmetterlingsmenschâ¹ und âºWaldâ¹ untrennbar miteinander verbunden.«
»Das liegt daran, daÃ
das Gedächtnis der Menschen so kurz ist. Eure gesamte Zeitrechnung umfaÃt ja
erst 682 Jahre, und von der langen Zeit der Kriege vor der Königskrone gibt es
bei euch kaum noch Aufzeichnungen. In noch einmal 682 Jahren könnten wir Schmetterlingsmenschen
vollkommen verschwunden sein, und niemand würde sich mehr daran erinnern, daÃ
es uns jemals gegeben hat.«
»Aber wir erinnern uns
an Mammuts.«
»Das stimmt«, gab sie
zu, und ihr Lächeln wurde ein kleines biÃchen zuversichtlicher. »Der eine oder
andere von euch tut dies tatsächlich.«
Am frühen Abend hörte
der Regen auf und wurde von einem Leuchten abgelöst â die länger werdenden
Strahlen der jetzt wieder hervorbrechenden Sonne spiegelten sich in allen
Pfützen, in den Tropfen, die noch in Zweigen hingen, und lieÃen die Umrisse
ineinanderscheinen. Rodraeg und Naenn krabbelten unter ihrer Plane hervor und
gingen eine Weile neben Hinnis her. Die beiden durchnäÃten Pferde zogen langsam
und geruhsam, man konnte bequem mithalten.
Als es anfing zu
dunkeln, fuhren sie auf eine Lichtung, nachdem Hinnis und Rodraeg vorher
erkundet hatten, daà der Boden für die Räder des Wagens nicht zu aufgeweicht
war. Hinnis versorgte die Pferde, Naenn sammelte trockenes Holz, und Rodraeg
machte Feuer mit seinem Zündstein. Naenn staunte über dieses Gerät, denn sie
hatte so etwas noch nie gesehen. In einem Metallrahmen schabte ein Stein über
eine geriffelte Metallspule, wenn Rodraeg mit den Fingern den Rahmen
zusammendrückte, und schlug lange, springende Funken. »Habe ich aus der
Hauptstadt«, erklärte Rodraeg. »Leider auch erst nach meiner Abenteurerzeit
erstanden.« Mit etwas Zunder aus Hinnisâ Zunderkästchen war rasch ein
gemütliches Feuer in Gang gebracht. Hinnis und Rodraeg verzehrten die Mettwurst,
und Naenn röstete sich Brot in der Glut und erhitzte Wasser mit Kräutern.
Zum Schlafen legten sie
sich dann alle ausreichend weit entfernt voneinander auf den Wagen unter die
Plane, weil es dort am trockensten
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