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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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und
roch nach Regen. Rodraeg hatte sein kleines Kammerfenster geöffnet und atmete.
Unter ihm die vertraute Gasse. Kuellen. Nichts war heute anders als sonst.
    Er hatte gut
geschlafen, den fehlenden Schlaf der vorherigen Nacht nachgeholt. Er packte
seine paar Habseligkeiten in den Seesack, den er vorm Zubettgehen noch aus dem
Keller geholt hatte. Die Kontinentkarte, gut zusammengerollt, so daß sie nicht
knickte. Der Säbel, umgeschnallt wie schon lange nicht mehr. Zu den Übungen im
Wald hatte er ihn immer einfach so mitgenommen, eingewickelt in ein Tuch, um
die Bürger nicht zu erschrecken. Rodraeg schlüpfte in seine warme Winterjacke
und verließ das Zimmer.
    Unten das Frühstück.
Helles Brot mit Wurst und Käse, dazu noch euterwarme Kuhmilch. Der rundliche
Wirt bestand darauf, daß Rodraeg, der seine Zimmermiete immer schon einen Mond
im voraus zahlte, Geld zurückbekam für die dreizehn Tage, die im Taumond noch
ausstanden. Freundschaftlich protestierend nahm Rodraeg die Taler an.
    Dann verabschiedete er
sich von dem Wirt und seiner Frau, die ihm mehr als fünf Jahre lang ein Obdach
gegeben hatten. Die Wirtsfrau war gerührt und verlegen und schenkte ihm eine
luftgetrocknete Mettwurst für die Reise. Rodraeg bedankte sich und machte dann,
daß er hinauskam. Ihm war unangenehm, wie bedeutsam jede Geste wirkte. Warchaim
lag von Kuellen aus nur fünf Tage mit einem Boot larnusabwärts. Das war ein
Katzensprung, verglichen mit der Weltreise, die er gemacht hatte, um aus den
Sonnenfeldern hier hinauf zu gelangen.
    Naenn wartete bereits
vor dem Rathaus. Sie war nicht allein. Der junge Schreiber Reyren war bei ihr.
Sie unterhielten sich. Reyren war sonst nie so früh auf den Beinen.
    Â»Ich bin froh, daß ich
dich noch antreffe«, begann der Junge auch gleich, als Rodraeg auf sie zukam.
»Kepuk hat gesagt, daß du weggehst und nicht wiederkommst.«
    Â»Voraussichtlich
nicht.« Rodraeg und Naenn deuteten voreinander galante Verbeugungen an.
    Â»Dann möchte ich dir das
hier noch schenken. Wenn du dich nicht um mich gekümmert hättest, hätte ich die
Einarbeitungszeit nie und nimmer überstanden.« Stolz überreichte Reyren Rodraeg
ein Präsent: einen glatten, talergroßen Stein von weißgrauer Farbe.
    Â»Ein Quellkiesel«,
stellte Rodraeg fest.
    Â»Ja, ich weiß, das ist
nichts Besonderes, aber es ist nun mal typisch für Kuellen. Es durfte nichts zu
Ausgefallenes sein.«
    Rodraeg nickte
schmunzelnd. »Ich habe mich immer gefragt: Wie viele dieser Kiesel werden jedes
Jahr an Reisende verkauft? Müßten die Quellen nicht langsam leer sein?«
    Â»Du hast recht.« Reyren
sah bestürzt aus. »Alles Lug und Trug.«
    Â»Und dennoch ein
großartiges Geschenk. Das wird mich immer an den Bürgermeister erinnern und mir
Kraft spenden, wenn ich in der Fremde schwach werde. Vielen Dank, Reyren.«
Rodraeg umarmte den jungen Mann, der die Umarmung begeistert erwiderte.
    Â»Yornba ist auch schon
da, wollte aber nicht rauskommen«, erklärte Reyren. »Er brummte nur: ›Die
jungen Leute kommen und gehen, wie’s ihnen paßt. Keiner von denen hält lange
durch.‹« Naenn lachte. Reyrens Yornba-Imitation war wirklich gelungen. »Naja.
Ich wünsche Euch beiden jedenfalls alles Gute. In der Zwischenzeit werde dann
eben ich dafür sorgen müssen, daß in Kuellen alles schön beim Alten bleibt.«
    Â»Ja. Daß vor allem die
ganzen Gläubiger nicht eines Tages das Rathaus anzünden, damit es noch heller
leuchtet als sonst.« Zu Naenn gewandt sagte Rodraeg: »Wir können eigentlich
aufbrechen.«
    Â»Nimmt uns denn kein
Händler mit?«
    Â»Doch, aber erst
später. Wir schlagen einfach die Straße nach Somnicke ein, und Hinnis wird uns
später einholen und aufgabeln.«
    Â»Dann los.«
    Reyren winkte den
beiden hinterher, bis sie außer Sicht waren. Rodraeg hielt den Quellenkiesel
noch einige Zeit in der Hand, bis er ganz warm geworden war, und verstaute ihn
dann in seiner Jackentasche. Auch nahm er Naenn, die selber nur mit leichtem Rucksack
unterwegs war, einen der beiden Wasserschläuche ab.
    Sie marschierten nicht,
sondern gingen eher langsam, damit der Tonkrughändler sie einholen konnte. Bei
jeder sich bietenden Gelegenheit blieben sie stehen und zeigten sich
gegenseitig Bäume, Felder, grasende Kühe, weidende Schafe und davonhoppelnde
Wildhasen, oder

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