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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Muster, die Tropfen und
Pfützen auf der Plane gegen das Himmelslicht bildeten.
    Hinnis schwatzte mit
Rodraeg über Kuellener Kleinigkeiten. Die beiden hatten schon oft miteinander
zu tun gehabt, meistens war Rodraeg es gewesen, der Hinnis nach Lieferungen im
Auftrag der Stadt entweder ausbezahlt oder vertröstet hatte.
    Die Zeit verstrich.
Rodraeg hoffte, daß Naenn nicht einschlief und ihren Kopf gegen seine Schulter
legte, und das passierte auch nicht. Das Schmetterlingsmädchen lauschte der
Unterhaltung und schien ansonsten wachsam in den Wald zu horchen.
    Gegen Mittag bot
Rodraeg ihr von der Mettwurst an, die ihm seine Wirtin geschenkt hatte.
    Sie lächelte.
»Dankeschön, aber ich esse kein Fleisch. Also auch keine Wurst.«
    Â»Oh, das wußte ich
nicht. Tut mir leid. Jetzt habe ich sie ausgepackt, um sie Euch stolz zu
präsentieren, und schon riecht der ganze Wagen nach Mettwurst.«
    Â»Das war auch vorher
schon so, ich habe die ganze Zeit gewußt, was Ihr in Eurem Seesack habt.«
    Rodraeg riß erschrocken
die Augen auf. »Der Wurmdrache!«
    Â»Nein, macht Euch keine
Sorgen. Bevor ein Wurmdrache diese Wurst riechen kann, habe ich ihn schon
längst gewittert.« Sie tippte verschwörerisch gegen ihre kleine Nase.
»Schmetterlingsehrenwort.«
    Rodraeg nickte
anerkennend. Wieder fiel ihm nur etwas Blödes ein: Ich habe
mir Schmetterlinge noch nie gut genug angesehen, um feststellen zu können, ob
sie Nasen haben. Wieder hielt er besser den Mund.
    Er schloß die Augen und
dachte über Naenns Flügel nach. Hatte sie tatsächlich die Schwingen eines Schmetterlings,
die sie entfalten konnte, um sich hinaufwehen zu lassen, hinein ins Leuchten
eines Sommertages? Verbarg ihr weitgeschnittenes Hemd solch ein kostbares,
filigranes Wunder? Welche Farbe hatten ihre Flügel? Golden wie ihr Haar? Blau
wie der Himmel? Dunkelbraun oder dunkelgrün oder welche dunkle Farbe auch immer
ihre Augen hatten?
    Es war absolut,
vollkommen, ganz und gar unmöglich, sie jemals danach zu fragen.
    Niemals.
    Â»Sie sind rötlich, mit
hellblauen Rändern.«
    Rodraeg zuckte
zusammen, als sei er geschlagen worden. »Das dürft Ihr nicht tun!« sagte er
heftig. »Das sind nur Gedanken, ich würde sie niemals laut ausprechen,
das … das dürft Ihr nicht erfahren und nicht gegen jemanden verwenden. Das
ist nicht gerecht.«
    Â»Ich weiß, daß es
ungerecht ist, und es tut mir sehr leid. Ich wollte das gar nicht, aber nachdem
ich es aufgeschnappt hatte, dachte ich, Ihr solltet wissen, daß ich es
aufgeschnappt habe. Ich muß Euch unbedingt etwas erklären. Es ist nicht so, daß
ich die ganze Zeit über Eure Gedanken oder Träume lese. Das ist sehr
anstrengend. Vergleichbar mit … wenn Ihr hundert Meter schnell rennen
müßt. Man kann das ein- oder zwei- oder dreimal am Tag machen, aber dann hat
man keine Puste mehr. Vorgestern nacht war ich auf der Suche nach Euch. Ich
stand vor dem Rathaus und wollte wissen, ob Ihr darin seid, ob es sich lohnt
für mich, hineinzukommen. Also habe ich mich konzentriert und nach Gedanken
gelauscht. Dabei bin ich in Euren Mammuttraum geraten, denn Ihr wart wohl
gerade eingenickt. Und eben habe ich versucht, Kontakt mit dem
Schmetterlingsmenschen vom Kreis aufzunehmen. Das ist sehr schwierig und klappt
auch nicht immer, weil er noch mehrere Tagesreisen entfernt ist und sich nicht
gleichzeitig mit mir konzentriert. Ich wollte ihm übermitteln, daß wir jetzt
von Kuellen aus aufgebrochen sind und in voraussichtlich acht Tagen in Aldava
ankommen werden. Also habe ich angefangen, Kraft und Konzentration zu sammeln.
Was dann passierte, konnte ich nicht mehr verhindern. Meine Sinne reichten so
weit, und Euer Gedanke war mir so nahe – er schwappte einfach zu mir hinein.
Die Färbung war mir unbekannt, denn tatsächlich habe ich noch niemals zuvor im
Wachsein aufgenommen. Also habe ich den Gedanken geöffnet und gelesen.«
    Rodraeg starrte vor
sich hin. Er war immer noch aufgewühlt. »Ihr dürft das nicht wieder tun. Ich
kann meine Gedanken nicht immer kontrollieren. Niemand kann das.«
    Â»Das weiß ich doch.
Wenn man mit dieser Fähigkeit aufwächst wie ich, dann lernt man sehr schnell zu
unterscheiden zwischen dem, was andere einfach nur denken, und dem, was sie
tatsächlich artikulieren wollen. Es ist nichts dabei, wenn Ihr über mich
nachdenkt. Wir sitzen hier

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