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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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ging ich die Queensway entlang zum Porchester. Im Hauptteil des Art-déco-Gebäudes befanden sich ein Sportstudio und ein Schwimmbad, in einem anderen Bereich waren Dampfbäder untergebracht. Das Schwimmbad und das Dampfbad hatten getrennte Eingänge und Empfangsbereiche, waren aber im Inneren durch eine Tür miteinander verbunden. Ich wartete in einem Büroraum am oberen Ende des Schwimmbeckens, als Pete – der Muskelmann, den ich bei der Party im Hostel kennengelernt hatte – hereinspazierte und mich begrüßte. Bei unserer ersten Begegnung war mir gar nicht aufgefallen, dass er ein bisschen wie der junge Bruce Willis aussah.
    »Schau an, Bronwyn Kelly …«
    »Hallo, Pete.«
    Pete beschrieb mir die Stelle, die im Anzeigenblatt ausgeschrieben war. Es war erst das zweite Vorstellungsgespräch meines Lebens, und ich stellte mich nicht besonders geschickt an. Die meiste Zeit zappelte ich nervös herum und veränderte dauernd die Position meiner Beine. Ich befürchtete, dass er mir dieselbe Frage stellen würde, die mir damals in Craigieburn in der Münzanstalt gestellt worden war. Und ich befürchtete, dass ich zum zweiten Mal eine ehrliche Antwort geben würde.
    »Warum sollten wir gerade Ihnen diese Stelle geben?«, hatte mich der Abteilungsleiter (23) in der Münzanstalt gefragt.
    »Weil ich weder Ehrgeiz habe noch über besondere Fähigkeiten verfüge.«
    »Wie bitte?«
    »Sie wollen, dass ich mich damit begnüge, fünf Tage in der Woche acht Stunden lang Zettel abzuheften. Dazu muss ein Bewerber einfallslos und roboterhaft sein. Ich verfüge über diese Fähigkeiten. Ich bin die Person, die Sie suchen.«
    Mein Vater hatte ihn nachher angerufen (er war der Sohn eines Freundes – gute alte Günstlingswirtschaft), um ihm zu erklären, dass ich zwar einen etwas verschrobenen Humor hätte, aber auch ein starkes Verlangen verspürte, in der Münzanstalt von Craigieburn Rechnungen abzuheften.
    Und siehe da, Pete stellte so ziemlich die gleiche Frage, aber diesmal war ich darauf vorbereitet.
    »Ich fände es großartig, in einem so schönen Gebäude arbeiten zu dürfen«, sagte ich.
    »Du müsstest Haare aus den Abflüssen entfernen.«
    Sogar in Fliss’ Kleidern sah ich scheiße aus. Ich hatte rote Augen, und ihre Klamotten waren mir viel zu eng. Außerdem hatte mich das jähe Verliebtsein ausgelaugt, und ich kam gerade erst von meinem Haschisch- und »E«-Trip runter.
    »Es wäre mir ein Vergnügen, Haare aus Abflüssen zu entfernen«, sagte ich.
    »Dann gratuliere ich dir.«
    Ich lächelte schwach, ehe ich vorsichtig nachhakte: »Mein erstes Gehalt …?«
    »Leider erst in drei Wochen. Kannst du morgen schon anfangen? Da haben wir Frauentag. Du würdest die letzte Schicht übernehmen – von drei bis zehn.«

5
    An diesem Abend verlor ich meinen Schuh. Den linken. Ein Asics Special, den mein Vater mir für den Fall geschenkt hatte, dass ich es mir anders überlegte und dem Netzballteam von St. Patrick doch wieder beiträte. Ich hatte es mir zwar nicht anders überlegt, aber diesen Laufschuh liebte ich.
    »Scheiße!«, sagte ich, als der Schuh vom Dach des Hostels in einen großen, schwarzen Müllcontainer fiel.
    »Pssst!«, zischte Fliss, die gerade das Dachfenster des Nachbarhauses aufstemmte. Ich hatte die Augen halb geschlossen und robbte zentimeterweise voran, wobei ich verzweifelt versuchte, nicht nach unten zu schauen. Wenn ich nach unten schaute, würde ich ganz bestimmt den Halt verlieren und als blutiger Klumpen auf dem Gehsteig enden.
    Linkisch kletterte ich hinter Fliss durch das Fenster ins Haus. Wir befanden uns in einer staubigen Dachkammer. Auf Zehenspitzen schlichen wir die enge Stiege zum Treppenabsatz im zweiten Stock hinab, und vor uns tat sich das prachtvolle Interieur eines georgianischen Stadthauses auf. Eine weitläufige Wendeltreppe führte ins Erdgeschoss, und wir schlichen die Stufen hinab: zweiter Stock, erster Stock, Erdgeschoss. Wie erwartet, stand das Haus leer.
    James aus Neuseeland hatte Fliss erzählt, dass er in dem Gebäude putzen gewesen war. Kurz danach war der alte Eigentümer pleitegegangen, und die Bank hatte das Haus übernommen. Ich kannte mich mit Hausbesetzungen nicht aus und war erstaunt, als Fliss mir sagte, dass wir das Recht hätten, in einem leer stehenden Haus zu wohnen. Die einzige Voraussetzung sei, dass wir uns Zugang verschafften, ohne etwas zu zerstören. Man konnte uns zwar vor die Tür setzen, aber nicht mit körperlicher Gewalt. Das gab uns Gelegenheit, die

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