Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
Dummes passiert war. Vielleicht war ihr bei Gabriels intensiven Bemühungen schwindlig geworden, und sie hatte um Hilfe gerufen, als seine Hände allzu hungrig forschten.
«Es ist in der Tat etwas äußerst Unerwartetes geschehen, das kann ich dir versichern», sagte Olivia und presste dabei ihre gespreizten Finger auf die Schwellung ihres Busens. «Es geht um Lord Marldon. Er ist gerade eingetroffen.»
Kapitel vier
Lord Alexander Marldon war besser bekannt durch seine Reputation als durch sein Gesicht. Trotzdem wichen die Leute zur Seite, einige ärgerlich, einige neugierig, als sich die große Gestalt einen Pfad durch die Menge bahnte.
Lucy erkannte den Lord sofort, obgleich sie ihn seit einigen Jahren nicht gesehen hatte. Sein Haar, das er aus seinem kantigen Gesicht zurückgekämmt trug, war immer noch dicht und, trotz einiger grauer Strähnen an den Schläfen, ebenso schwarz wie früher. In seinen dunklen Augen mit den schweren Lidern lag noch immer derselbe grausame Blick, und das arrogante Grinsen war nicht von seinen Lippen gewichen.
Über die rechte Seite seines Gesichts zog sich eine dünne Narbe, die in einer silbrigen Linie dem Verlauf seines Wangenknochens folgte und sich über den Kiefer hinweg noch etwa drei Zentimeter den Hals hinabzog. Jeder andere Mann hätte einen Bart getragen. Aber nicht Marldon; er trug nur exakt gestutzte Koteletten. Er wusste, welche Wirkung diese Narbe auf andere ausübte.
Olivia öffnete raschelnd ihren Fächer und entfernte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung. Mit entschlossenen Schritten kam Marldon auf Lucy zu und sah sie bedeutungsvoll an.
«Mrs. Singleton», sagte er mit unheilvoll leiser Stimme. Er nahm ihre behandschuhte Hand und drückte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen, während er seine Augen nicht von den ihren löste. «Ich glaube, wir werden schon bald in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen. Sie ist Eure Kusine, nicht wahr?»
Lucy warf ihm ein Lächeln zu, dessen Strahlen über ihr Unbehagen hinwegtäuschte. «So scheint es zu sein», entgegnete sie ruhig. «Und ich hörte, sie erwartet Euch am Ende des Monats. Eure Anwesenheit, Mylord, kommt nicht zur rechten Zeit.»
Lucy hatte Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf Marldon konzentriert zu halten. Verzweifelt versuchte sie, irgendwo im Raum Clarissa auszumachen, und ihre Gedanken waren nur damit beschäftigt, einen Weg zu finden, wie man ein Zusammentreffen der beiden vermeiden könnte.
«Die Geschäfte bringen mich hierher, Mrs. Singleton», fügte Marldon hinzu. «Sonst nichts. Es ist ohnehin nicht meine Art, jemandem den Hof zu machen, wie Ihr Euch möglicherweise vorstellen könnt. Ich habe deshalb im Moment auch nicht vor, ihr meine Aufwartung zu machen und mich ihr vorzustellen.» Sein Blick glitt kurz über die Köpfe der anwesenden Gesellschaft und kehrte dann zu Lucy zurück. Er sah sie eindringlich und herausfordernd an. «Allerdings, sollte Miss Longleigh heute Abend zufällig hier sein, könnte ein Blick vielleicht meinen Appetit wecken. Ist sie denn da?»
«Aber natürlich nicht», platzte Lucy heraus und bereute sofort die Heftigkeit ihrer Äußerung. «Sie hält sich in deutlich respektablerer Gesellschaft auf.»
«Wirklich?», merkte Marldon an und hob seine Brauen. Es war nur ein einziges Wort, aber es triefte vor Ironie und Zweifel.
Panik machte sich flatternd in Lucys Bauch breit. Wusste er, dass Clarissa unter den Gästen war? Und wenn, war er genau aus diesem Grund hier? Sie traute ihm nicht ein bisschen! Es war erst kurz nach Mitternacht, aber es war unausweichlich, dass ihre Kusine sofort nach Hause zurückkehrte. Sie mochte gar nicht daran denken, dass die beiden einander hier begegnen könnten, wo sich Clarissa doch gerade auf ein Techtelmechtel mit Gabriel eingelassen zu haben schien. Es würde Alicias ganzen Plan vereiteln, sie ganz langsam und vorsichtig auf die Verderbtheit des Grafen einzustimmen.
Erleichterung ergriff sie, als Julian auftauchte und Marldon auf die Schulter klopfte. Die Männer begrüßten sich und schüttelten sich die Hände.
«Und wie geht es Eurer werten Frau Gemahlin?», fragte Lord Marldon. «Habt Ihr sie über den Sommer nach Oxfordshire verbannt?»
«Die Gesundheit macht ihr zu schaffen», antwortete Julian und sah ihn mit einem Lächeln an, das nicht seine Augen erreichte.
«Immer noch?», sagte Marldon. «Wie schade. Ich habe bislang niemanden getroffen, der Lady Ackroyd jemals bei guter Gesundheit gesehen
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