Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
hätte. Wenn ich es genau betrachte, kenne ich sogar niemanden, der Lady Ackroyd jemals zu Gesicht bekommen hat. Ein merkwürdiger Umstand, seid Ihr nicht der Meinung?»
«Meine Frau mag London nicht besonders gern», gab Julian etwas gereizt zurück. Dann hellte sich sein Blick etwas auf, und er fügte hinzu: «Baccarat, Mylord? Gleich soll in den oberen Räumen ein Spiel beginnen, und vielleicht habt Ihr ja diesmal mehr Glück?»
Marldon gab ein verächtliches Lachen von sich. «Der Teufel hol Euch, Ackroyd. Ja, eine Gelegenheit zur Revanche würde mir gefallen.» Dann wandte er sich Lucy zu. «Spielt Ihr, Mrs. Singleton? Ladys tun so etwas ja gewöhnlich nicht, aber über Eure Anwesenheit würde wohl kaum jemand die Stirn runzeln.»
Diese versteckte Beleidigung machte Lucy wütend, aber dann sah sie, dass Julian ihr verschwörerisch und aufmunternd zunickte. Einen Augenblick lang war sie verwirrt, aber dann dämmerte es ihr. Ach, er war einfach ein Schatz! Julians Aufforderung zum Kartenspiel war ein Ablenkungsmanöver, ein Versuch, Marldon aus dem Festsaal zu locken. Ihr Herz wurde leichter.
Sie holte tief Luft und lächelte. «Aber ja, Mylord. Auf jeden Fall werde ich spielen.»
Die ballonförmigen Lampen im Spielzimmer waren eingehüllt in blauen Dunst. Es herrschte babylonisches Stimmengewirr. Inmitten des lauten Gemischs von Gesprächen, Rufen und Gelächter war das Rattern der Kugeln an den Roulettetischen zu hören und unaufhörlich das Klappern der Steine auf den Bagatellebrettern. Männer, einige von ihnen bereits in Hemdsärmeln mit Weste, saßen über Tische gebeugt, vertieft in Poker, Baccarat oder Piquet.
Es mutete merkwürdig an, in einem Haus von so hochherrschaftlicher Ausstrahlung und so vornehmem Anspruch einen Ort mit derart verrohten Sitten anzutreffen. Aber es passte perfekt zu Olivia Hamilton, dachte Alec. Sie wusste, wie man Männer bei Laune hielt – das war schließlich ihr Beruf – und eine Fähigkeit, mit deren Hilfe sie es geschafft hatte, aus der Gosse zu den Sternen zu gelangen. Es war bemerkenswert, dass diese Frau auf ihrem Weg nach oben nicht ein Stück ihrer Gewöhnlichkeit zurückgelassen hatte. Das war schon eine Leistung!
Er ließ sich mit seinem Stuhl ein Stück nach hinten kippen und gähnte. Mit missgünstigem Blick überblickte er die unordentlichen Münzstapel auf beiden Seiten des langen Tisches. Die Haufen waren ermüdend niedrig und die Männer, bis auf Julian Ackroyd, glanzlose Spieler. Er streckte sich, um nach einer Whiskykaraffe zu greifen und sich einen ordentlichen Schluck einzugießen, den er in einem Zug leerte.
Lucy saß ihm gegenüber und sah besorgt von ihm zu Julian. Er lächelte in sich hinein, befriedigt darüber, dass er sie derart in Verlegenheit gebracht hatte. Loyalität war einer der Werte, auf die er nicht besonders viel gab, und es amüsierte ihn zu sehen, wie bemüht sie um das Wohl ihrer Kusine war. Ihn ergriff eine Art gelangweilte Neugier, und er fragte sich, wie weit sie gehen würde, um ihn hier festzuhalten. Diese Frau war für ihre lockere und ungezwungene Art bekannt. Es müsste interessant sein zu sehen, ob sie sich auch ohne das vornehme Getue der besseren Gesellschaft dem lustvollen Erleben hingeben würde. Interessanter jedenfalls, als mit ein paar Idioten Baccarat zu spielen.
Grinsend sackte Lord Julian seinen Gewinn ein und warf die benutzten Karten in den Papierkorb.
«Ich finde die Glückssträhne des Bankiers allmählich ziemlich langweilig», sagte Lord Marldon mit Bezug auf Julian, der am Kopfende des Tisches saß. «Vielleicht seid Ihr ja bereit, den Einsatz zu ändern. Mrs. Singleton wäre doch eine sehr viel verlockendere Belohnung als ein Häuflein von Sovereigns, denkt Ihr nicht?» Während er sprach, senkte er verstohlen seinen Spazierstock unter den Tisch und drückte seinen edelsteinbesetzten Knauf gegen ihren Bauch.
Lucy atmete hörbar ein, und am Tisch herrschte plötzlich Stille. Lord Trimmington klemmte sich sein Monokel ins Auge, und die gesamte Gesellschaft richtete ihre Blicke auf sie. Einen Moment lang starrte sie Marldon verblüfft an, ihr Mund war geöffnet, und ihre Schultern hoben und senkten sich im Rhythmus ihrer schnellen, wütenden Atemzüge. Marldons Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und er ließ seinen Stock ein paar Zentimeter tiefer gleiten, bis er sich an der Stelle einnistete, wo ihre Schenkel zusammentrafen.
Nachdem zunächst Verärgerung in Lucys klaren grünen Augen geflackert
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