Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Schichten, ließ sfumatura das sich überlagernde Licht- und Schattengewebe ätherisch erscheinen.
Sein Blick kehrte zurück zum Vermeer. Er setzte den Pinsel auf, um ein Ornament zu vervollständigen, doch führte die Bewegung nicht zu Ende, weil seine Hand zu sehr zitterte. Verstört ließ er den Arm sinken.
Er ahnte, dass es mit dem Schlafmangel zu tun hatte und der beständigen Hitze. Und wohl auch mit den Cocktails aus Paracetamol, Koffeintabletten und Rotwein, mit denen er seinen Körper zwang, sich mit drei oder vier Stunden Schlaf zu begnügen. Er fühlte sich gut, die Kopfschmerzen waren verschwunden. Doch seit einiger Zeit gelang es ihm kaum noch, die Hände ruhig zu halten. Er konnte nicht so schnell malen, wie er es gewohnt war und musste Details ausbessern, die er zuvor selbst verdorben hatte.
Er rauchte immer mehr, weil das Nikotin seine Nerven glättete und ihm half, sich zu konzentrieren. Zwei Schachteln am Tag, manchmal drei. Das war nicht zu viel, wenn man bedachte, dass sein Tag zwanzig Stunden umfasste. Und schließlich war es nicht für immer. Ein paar Monate noch, die er durchhalten musste. So lange, bis er den zweiten Vermeer fertig hatte und die neue Ausstellung, die alles ändern sollte.
Wieder tauschte er einen Blick mit Helene.
Ob sie ahnte, wie viel seiner Zeit sie beanspruchte? Die Stunden, die er auf ihr Porträt verwandte, stahl er dem Vermeer und den Bildern seiner Ausstellung. Drei hatte er vollendet, er arbeitete am vierten. Aus den unzähligen Zellen des ersten Gemäldes heraus hatte er sich einem Ausschnitt angenähert, der nur noch aus fünf Kapseln bestand.
Nur noch ein paar Monate.
Die konnte er überstehen.
Am folgenden Tag erhielt Henryk einen Anruf, dass der De Lucchi-Tisch und die Stühle eingetroffen waren. Als er aufgelegt hatte, wurde ihm bewusst, dass er seit vier Wochen keinen Fuß mehr in die Wohnung in St. Gilles gesetzt hatte. Er hatte auch die Möbel und die Vasen und all die anderen Dinge nicht bestellt, die Helene ihm in den Katalogen markiert hatte.
Stattdessen war er vollkommen in die Julihitze versunken und in seine Bilder, die mehr Zeit beanspruchten, als ein Tag Stunden hatte. Mit einem Mal überwältigte ihn Hektik. Er musste sich duschen und rasieren und frische Kleidung anziehen. Nicht, dass es wichtig war, was der Möbellieferant von ihm dachte. Er wollte nur nicht aussehen wie ein Landstreicher, wenn er die elegante Wohnung in der Avenue Paul Dejaer betrat. Diese schäbigen und farbbefleckten Sachen, die er in seinem Atelier trug und in denen er sogar schlief, auf seinem fadenscheinigen Sofa, gehörten nicht in sein neues Leben.
Es war so heiß im Atelier, dass die Feuchtigkeit auf seiner Haut in wenigen Sekunden trocknete. Nackt trat er aus der Dusche ans Fenster und genoss den leichten Wind, der sein Gesicht abkühlte. Sirenen zerschnitten die Hitze, dieses Mal näher als sonst. Dann verhallten sie in der Ferne und er glaubte für einen Moment, Rauch in der Luft zu riechen.
Er kleidete sich an und packte seine Ledertasche. Aus Gewohnheit warf er seinen Skizzenblock hinein und die flache Metallkassette mit den Stiften. Bevor er sich zum Gehen wandte, blieb sein Blick an Helene hängen. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen nicht gemeldet, und Peter auch nicht. Aber was erwartete er? Sie waren auf Reisen und hatten sicher andere Dinge im Kopf, als ihn anzurufen.
Einer plötzlichen Regung folgend, setzte er die Tasche ab und hob das Bild auf. Er wickelte es in Zeitungspapier, verklebte es mit Paketband und schob es in eine Plastiktüte.
Vorfreude stieg in ihm auf, als er sich die Tasche wieder umhängte und die schwere Stahltür hinter sich zuwarf, die das Atelier von der anderen Welt trennte.
Der besseren Welt.
Die Möbeltransporteure waren zu früh. Sie klingelten, kaum dass Henryk die Wohnung betreten hatte. Er ließ sie ein und sah ihnen zu, wie sie Pakete hinauftrugen, sie auspackten und den Tisch montierten.
Sacht strich er mit dem Handrücken über ein Stuhlpolster, als er sich unbeobachtet wähnte. Die Männer waren zu zweit und unterhielten sich in grobem Flämisch, so als sei er nicht anwesend.
Er zog sich auf den Balkon zurück, um ihnen nicht im Weg zu stehen und beobachtete sie durch die Vorhänge.
„Wo soll der hin?“, rief ihm einer der beiden Männer zu. „Hier in die Mitte?“
Henryk trat zurück ins Zimmer und betrachtete den Tisch. Riesig war er, massiv und unzerstörbar. Und
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