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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Baeskens. Er war ihm dankbar für seine Freundschaft und dafür, dass er ihm mehr als nur einen Blick auf die andere Welt gewährte, die sonnendurchflutete und elegante Welt, die die Schatten aussperrte. Dann schrillte die Türklingel in seine Gedanken.
    Zuerst stand er nur da wie erstarrt und fragte sich, ob die Möbeltransporteure etwas vergessen hatten. Er konnte einfach so tun, als sei er nicht da.
    Es klingelte erneut.
    Vielleicht war es wichtig. Vielleicht ein Dokument oder eine Unterschrift, die er vergessen hatte. Vielleicht würde er Ärger bekommen, wenn er sich jetzt nicht darum kümmerte.
    Steifgliedrig ging er zum Eingangsbereich und drückte auf den Summer. Er öffnete die Tür einen Spalt und lauschte den Schritten im Treppenhaus, einem leisen Klack-Klack auf den Steinstufen, das nicht klang wie die schweren Schuhe der Arbeiter.
    Blondes Haar tauchte am Treppenabsatz auf, ein Sommerkleid in Kornblumenblau. Er war so überrascht, dass er zuerst nichts zu sagen wusste. Helene stieg die letzten Stufen hinauf, blieb vor ihm stehen und strahlte.
    „Ich habe Licht gesehen und dachte, Sie sind vielleicht zu Hause.“
    „Hallo“, murmelte er.
    „Wir sind wieder da. Seit gestern Abend.“
    „Sie sind ja braun gebrannt.“ Das war es, was ihm als erstes auffiel. Er dachte, dass er sie mit ganz heller Haut gemalt hatte und erschrak dann so sehr, dass er einen Schritt in die Tür zurück wich.
    „Laden Sie mich auf einen Tee ein?“
    Er versperrte ihr den Weg mit seinem Körper. Nun zitterte er, nicht mehr nur an den Händen, sondern am ganzen Leib. Was für ein Idiot er gewesen war, das Porträt mit in die Wohnung zu nehmen. Sie durfte es auf keinen Fall sehen.
    „Was ist?“, fragte sie. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“
    „Nein. Aber es geht jetzt nicht. Ich kann Sie nicht einlassen. Ich habe keine Zeit für Sie, wirklich nicht.“ Seine Stimme hob sich immer mehr. Er hörte sich selbst durch die Silben hasten und realisierte, wie Irritation in Helenes Augen wuchs.
    „Wenn es Ihnen nicht passt ...“ Unschlüssig nestelte sie am Riemen ihrer Handtasche.
    „Nein, tut es nicht.“ Überhastet zog er sich zurück hinter die Schwelle, eine Hand bereits an der Tür. Seine Furcht, sie würde einfach mit einem Lachen seine Entschlossenheit beiseite wischen, wie sie es sonst immer tat, und an ihm vorbei die Wohnung betreten, wurde übermächtig.
    „Gute Nacht.“ Er drückte die Tür zu, ohne ihre Antwort abzuwarten. Er wartete reglos, die Stirn an das Türblatt gelehnt und lauschte darauf, ob sie noch etwas sagte. Aber er hörte nichts, nicht einmal ihre Schritte, die sich entfernten. Wie gelähmt vor Bedauern, suchte er sich seinen Weg zurück ins Zimmer.
    Er starrte das Gemälde an. Das Entzücken, das er zuvor verspürt hatte, schlug um in Groll. Er packte den Rahmen und schmetterte ihn gegen die Türkante.
    Einmal, zweimal. Das dünne Sperrholz sprang, die Bruchstelle bohrte sich in die Leinwand. Ein Riss platzte auf, zerbrach die Farben.
    Erschrocken ließ er das Bild fallen. Er erinnerte sich mit schneidender Klarheit an den anderen Abend, an die entsetzliche Nacht, als Martha ihn verletzt und er sich dafür gerächt hatte. Am nächsten Morgen war sie tot gewesen, und er gab sich noch immer die Schuld dafür. Sie war aufgewühlt gewesen, als sie sein Atelier verlassen hatte, abgelenkt, mit den Gedanken weit fort. Unfälle passierten so schnell. Ein Moment der Unaufmerksamkeit, und plötzlich veränderten Sekunden ein ganzes Leben. Oder beendeten es, bevor man realisierte, was eigentlich geschehen war.
    Seine Augen begannen zu brennen. Er presste die Fingerspitzen gegen seine Lider und holte tief Atem. Dann hob er das beschädigte Bild vom Boden auf, wickelte es in die Zeitungsbögen und schob es in den Hohlraum zwischen Heizkörper und Wand.
     
     
     
    Es war kurz nach Mitternacht, als er in der Rue Royale aus der Straßenbahn stieg und zum Atelier zurücklief. Wieder roch er den Rauch, dieses Mal scharf und unverkennbar. Ein kraftloser Wind zupfte an den Flaggen vor dem Brussels Royotel.
    Unrast erfüllte ihn, Gedankenfetzen. Er dachte an Helene, an Peter Baeskens, an die Möbelspediteure. Je länger er darüber nachsann, umso demütigender erschien ihm die Begegnung. Was nutzte eine Hülle, wenn sie leer blieb? Die Wohnung, die teuren Möbel, seine neue Garderobe – Attribute eines Lebens, das er sich erträumte, das er aber einfach nicht füllen konnte.
    Statt den direkten Weg zum Atelier

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