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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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gesagt, er soll es nicht an die große Glocke hängen.“
    Eine Erschütterung rollte Henryks Kehle hinauf, die halb Lachen und halb Schluchzen war.
    „Was kann schon passieren? Der Vermeer bleibt ein Vermeer, da zweifelt doch keiner dran. Egal, wer den jetzt restauriert hat.“
    „Meine Glaubwürdigkeit hängt da dran!“ Henryk schrie beinahe.
    Verhoeven ging nicht darauf ein. „Was hat Peter gesagt?“
    „Er hält Bosteels für einen Hochstapler.“
    „Was regst du dich dann auf?“ Verhoeven blies bedächtig den Rauch aus.
    „Bosteels wird das nicht auf sich sitzen lassen! Der weiß doch, dass er den Vermeer restauriert hat.“
    „Also geht es um deine persönliche Eitelkeit.“
    Henryk richtete sich in seinem Sessel auf. Er zitterte. „Wenn du willst, dass der Vermeer ein Vermeer bleibt, dann sorg dafür, dass Bosteels aufhört, die Fotos rumzuzeigen. Sag ihm, dass das vertraulich ist, oder was weiß ich.“
    Verhoevens Augen wurden schmal. „Ist da irgendwas zwischen dir und Peter, dass du dich so aufführst? Oder mit Helene? Sie soll ja deine größte Bewunderin sein.“
    „Kümmerst du dich jetzt um Bosteels oder nicht?“
    Vielleicht konnten sie ihm Geld geben. Ihm eine Entschädigung dafür zahlen, dass er mit der Arbeit am Vermeer keine Werbung machen durfte.
    Ja, dachte er mit plötzlicher Erleichterung. Verhoeven sollte ihm Geld geben, damit er die Sache auf sich beruhen ließ.
     
     
     
    Zurück im Atelier stieß Henryk die Fenster weit auf, um den stickigen Dunst herauszulassen, und setzte Kaffeewasser auf.
    Während er sich umzog, betrachtete er den Vermeer, der im Lichtschein der Lampe ruhte. Am Morgen hatte er begonnen, das Kleid zu malen. Er war nicht so weit gekommen, wie er gehofft hatte, weil er den Nachmittag mit Helene verbracht hatte. Er hätte die verlorene Zeit jetzt nachholen müssen, doch sein Blick wanderte weiter zu der kleinen Leinwand mit den dünnen schwarzen Kohlelinien, der Vorzeichnung von Helenes Antlitz.
    Er zögerte noch länger, dann endlich hob er den Vermeer von der Staffelei und stellte das Porträt an seine Stelle. Helenes Haar hatte er zu einem Kranz gewunden, mit ein paar Locken über den Ohren. Es sah hübsch aus und öffnete ihr Gesicht.
    Er entfernte den Ölfilm von den Farben, die er vor ein paar Tagen für die Vermeer-Untermalung angerieben hatte, und hob Schwarz, Weiß und Gelb auf seine Palette. Genussvoll atmete er ihr Aroma ein. Seltsam, dass der Duft der fertigen Farbe so gar nichts gemein hatte mit den stickigen Dünsten, die bei der Zubereitung der Pigmente entstanden.
    Er senkte den Pinsel, mischte Gelb und einen Stich Ultramarin ins Weiß und begann, die Kontur von Helenes Wange zu modellieren.  
     

29
     
     
     
    Der Juli brachte Tage voller Hitze, die die Stadt stöhnen ließ und alle Bewegungen zu verlangsamen schien. Staub sammelte sich auf den Blättern der Bäume und auf den Grashalmen, die langsam in der Sonne verbrannten.
    Henryk verließ sein Atelier nur, um Lebensmittel zu kaufen. Helene und Peter waren für ein paar Wochen verreist und es gab keinen Grund, sich in der leeren Wohnung in St. Gilles aufzuhalten.
    Manchmal unterbrachen Feuersirenen das eintönige Rauschen des Verkehrs hinter den Fenstern.
    Er malte an den Ornamenten der Decke, die in schweren Falten über den Tisch fiel und zum Boden hin im Schatten versank. Er hatte den Hintergrund fertig gestellt und das Kleid des Mädchens, die Schale mit den Früchten und die Kornblumen, deren leuchtendes Blau mit dem roten Batist des Kleides kontrastierte.
    Einzig ihr Gesicht lag noch vor ihm. Er schob den Moment vor sich her, da er ihr Leben einhauchen wollte.
    Stattdessen nutzte er die Abende, um Helenes Porträt zu verfeinern, um immer neue Schichten aufzutragen, wie er es beim Mädchen mit dem roten Hut getan hatte. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Nun war er fertig mit dem kleinen Bild. Es gab nichts, das er noch hinzufügen konnte. Am Morgen hatte er mit den Fingerspitzen den Firnis betastet und festgestellt, dass die letzte Schicht getrocknet war. Bald würden sich feine Risse bilden, ein Prozess, der sich so lange fortsetzte, bis er den Leimanstrich auf der Rückseite entfernte.
    Die gemalte Helene lehnte an der Wand und lächelte zu ihm hoch. Rauchfein verwob sich die Kontur ihrer Locken mit dem Hintergrund. Er hatte mit einer neuen Technik experimentiert, sfumatura , das Verwischen der beinahe getrockneten Farbränder mit einem Schwamm. Wiederholt durch mehrere

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