Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
einzuschlagen, bog er an der nächsten Kreuzung nach links und folgte einer schlecht beleuchteten Straße, die von parkenden Autos zugestellt war. Ziellos setzte er seine Schritte, ohne wirkliche Richtung.
Er hatte gedacht, dass es am Geld lag. Geld bedeutete Macht, Geld öffnete die Tür zur anderen Seite. Aber jetzt besaß er Geld, mehr als er sich je erträumt hatte, und trotzdem änderte sich wenig. Wenn er mit Baeskens sprach oder mit seinen wohlhabenden Freunden, fühlte er sich wie ein Seiltänzer mit einer biegsamen Stange, während Wind um ihn aufkam und jede Böe ihn vom Seil zu fegen drohte. Er schwankte und tänzelte. Auf jeden Moment der Euphorie folgte unweigerlich die Angst, sein nächster Schritt könnte der letzte sein.
Er stieß auf eine T-Kreuzung und bog in die Rue Josaphat. Der Rauch in der Luft wurde stärker und führte seine Gedanken fort, in eine andere Zeit. Herbst in Corcova, Heu und Laubhaufen. Die Bauern brannten ihre Felder ab, damit sie im nächsten Jahr wieder fruchtbar waren. Irgendwo heulte eine Sirene auf, ganz kurz nur, aber so nah, dass Henryk zusammenzuckte. Dann entdeckte er die Polizeiwagen und eine Absperrung quer über die Fahrbahn.
Etwas in ihm krümmte sich, während ihn gleichzeitig die Neugier packte. Im Näherkommen sah er, dass es tatsächlich das Haus war, dessen Hof er vor ein paar Wochen betreten hatte. Das Haus mit der Nummer 252. Ein Polizeibeamter stand rauchend und telefonierend vor seinem Wagen. Henryk wartete, bis der Mann das Handy sinken ließ.
„Hallo“, sagte Henryk.
Der Polizist nickte ihm zu.
„Darf man fragen, was hier passiert ist?“
„Ein Brand. Wohnen Sie in dem Haus?“
„In der Nähe.“ Henryks Herzschlag verlangsamte sich, eine unnatürliche Ruhe glättete seine Stimme. „Aber ich habe einen Freund hier.“
„Wie heißen Sie?“
„Henryk Grigore.“
Der Mann schnippte die Zigarette beiseite und nestelte einen kleinen Schreibblock aus der Tasche. „Und Ihr Freund?“
„Jan Bosteels.“ Ganz glatt ging ihm der Name über die Lippen. Nicht so wie heute Nachmittag, als der abschätzige Blick eines Möbelpackers genügt hatte, ihn aus der Fassung zu bringen. „Er hat hier seine Werkstatt.“
„Warten Sie einen Moment.“ Der Polizist wandte sich ab und verschwand im Haus. Henryk Kopf wurde ganz leicht.
Als der Mann zurückkehrte, begleitete ihn ein zweiter Beamter.
„Ich heiße Patrick Vos.“ Der Mann streckte Henryk die Hand entgegen. „Sie kennen Herrn Bosteels?“
Henryk nickte.
„Sind Sie mit ihm verwandt?“
„Nein, das nicht. Wir sind Kollegen.“
Vos runzelte die Stirn. „Heute Nachmittag ist ein Brand in Herrn Bosteels Atelier ausgebrochen. Die Feuerwehr denkt, es war ein Kabelschaden.“
Henryk fühlte das Bedürfnis, sich irgendwo festzuhalten.
„Es hat eine Zeitlang gedauert, bis die Kollegen das Feuer löschen konnten“, fügte Vos hinzu. „Die Wohnungen im ersten und zweiten Stock über dem Atelier sind betroffen.“
„Und Jan Bosteels?“
„Wir haben vorhin mit dem Krankenhaus telefoniert“, half der andere Mann, als Vos zögerte. „Er liegt auf der Intensivstation.“
„Welches Krankenhaus?“
„Clinique St. Jean, das ist hier ganz in der Nähe. Setzen Sie sich am besten mit den Ärzten dort in Verbindung.“
„Können wir Ihre Personalien haben?“, fragte Vos. „Nur falls sich noch Fragen ergeben.“
Wie durch Watte hörte Henryk die Stimme des Beamten. Mechanisch nickte er, als gehörte sein Kopf nicht ihm selbst, sondern einem Fremden, in dessen Körper er sich verirrt hatte.
30
Henryk rief Helene nicht an, obwohl er sich verzweifelt danach sehnte, ihre Stimme zu hören. Er brachte es auch nicht über sich, die Nummer des Krankenhauses zu wählen, die der Polizist ihm gegeben hatte. Was hätte er denen auch sagen sollen?
Eine innere Unruhe trieb ihn um. Am Abend versuchte er, Peter Baeskens zu erreichen, dessen Handy jedoch ins Leere klingelte. Einen Versuch auf Baeskens’ Festnetznummer wagte er nicht, weil er fürchtete, Helene könnte ans Telefon gehen.
Er arbeitete nicht am Vermeer, denn seine Hände waren zu nervös. Das Risiko, einen Fehler zu machen, erschien ihm zu groß. Stattdessen malte er lustlos Kornblumen auf eine leere Leinwand, ohne Vorzeichnung und ohne Geduld. Die Pinselstriche, grob und ungeschlacht, spiegelten seine Unrast wider.
Am Morgen darauf, nach einer furchtbaren Nacht, versuchte er erneut, Baeskens anzurufen. Dieses Mal
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