Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
dennoch, etwas war falsch gelaufen. Er dachte an Peter Baeskens, der nicht zu schätzen wusste, welches Glück ihm mit Helene zuteil geworden war. Peter brauchte sie nicht.
Aber Henryk brauchte sie wohl. Er wusste, dass sie seine fehlende Hälfte ergänzte. Er konnte sie lieben und sie musste sich nicht länger fühlen wie ein schönes Gemälde an der Wand. Das hatte er ihr gesagt und sie hatte einfach durch ihn hindurchgesehen.
Erschöpft stellte er sich ans Fenster. Er faltete eine der Zeitungen auseinander und legte sie so, dass das Laternenlicht von der Straße die Seiten beschien. Rasch blätterte er durch den Kulturteil. Eine halbseitige Kritik für eine Theateraufführung, zwei Buchbesprechungen, aber nichts über die Vernissage. Mit wachsender Ungeduld durchforstete er die zweite Zeitung. Er entdeckte einen kurzen Verweis auf die Ausstellung, aber keine Besprechung.
Von der Straße hallten quietschende Bremsen in die Nacht. Das Klavierspiel brach ab.
Er nahm die Zeitung herunter und lächelte krampfhaft in die Leere. Er musste geduldig sein. Noch ein paar Tage warten. Über seine erste Ausstellung hatte keine einzige Zeitung geschrieben. Das war jetzt anders.
Als Restaurator des berühmten Vermeer-Gemäldes hatte er eine bescheidene Bekanntheit erlangt. Vor allem aber hoffte er, dass Peter Baeskens eine Kritik über seine Gemälde verfasste. Es würde seine Arbeit in ein anderes Licht rücken, wenn der große Peter Baeskens sie mit seiner Aufmerksamkeit adelte.
Dann, als sein Blick erneut Helenes Portrait streifte, kam ihm ein schrecklicher Gedanke. Die Kopfschmerzen sprangen ihn an wie ein wildes Tier.
Er presste seine Finger gegen die Schläfen. Nein, das konnte nicht geschehen. Das bildete er sich ein.
Er streckte einen Arm aus und zog das beschädigte Bild zu sich heran. Seine Fingerspitzen strichen über die unebene Leinwand und ertasteten Vertiefungen und Farbeinschlüsse und aufgeworfene Kanten entlang des Risses.
Seine Beziehung zu Peter Baeskens hatte doch nichts zu tun mit Helene. Peter würde ihn nicht verraten.
Nein, das würde er nicht.
40
„Galerie Verhoeven?“, meldete sich eine Frauenstimme.
„Ist Paul Verhoeven zu sprechen?“
„Wer ist denn da?“
Henryk nannte seinen Namen. Er starrte aus dem Fenster, während er sprach, hinaus in den Herbstregen.
Die Besitzer der Straßencafes hatten ihre Markisen eingerollt und die Stühle weggeräumt. Das Leben auf den Gehwegen unter seinem Fenster war in eine träge Hast verfallen. Die Menschen versteckten sich unter Regenschirmen und blieben nicht lange genug stehen, um ihm einen zweiten Blick zu gewähren.
„Herr Verhoeven ist leider nicht im Haus“, sagte die junge Frau. „Aber ich kann ihm eine Nachricht hinterlassen.“
„Wo steckt er? Ich versuche ihn seit gestern Morgen zu erreichen.“
„London.“ Stolz schwang in der Stimme von Verhoevens Assistentin. „Er ist auf einer Geschäftsreise.“
London. Das hieß, er traf sich mit dem Kurator der National Gallery, der die zweite Vermeer-Fälschung kaufen wollte.
„Danke“, murmelte er.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Er wollte sie nach der Vernissage fragen. Doch dann presste er die Lippen zusammen. Was konnte sie ihm schon sagen? Wenn der Abend in einem Desaster geendet war, würde sie ihm sicher nicht die Wahrheit ins Gesicht schleudern.
Er bedankte sich ein zweites Mal und legte auf.
Dann wählte er Verhoevens Handynummer. Nach dem ersten Ruf meldete sich die Mailbox.
Er ließ das Telefon sinken. Die bleierne Erschöpfung des Vortages war von ihm gewichen. Er hatte unruhig geschlafen, fühlte sich aber besser.
Unschlüssig betrachtete er das kleine Häufchen aus Koffein- und Paracetamol-Tabletten, das er auf dem Tisch zusammen geschoben hatte. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, um damit aufzuhören. Seine Kopfschmerzen waren zu einem dumpfen Ziehen im Nacken abgeklungen.
Oder vielleicht wartete er noch einige Tage, bis der Vermeer endgültig verkauft war. Mit einer raschen Bewegung fegte er die Tabletten in seine Handfläche und warf sie sich in den Mund. Dann griff er nach dem Wasserglas und leerte es in einem Zug.
Kurz vor Mittag verließ er das Atelier und lief die Rue Royale hinunter zu dem kleinen Zeitschriftenladen, der sich im Schatten des Hotels Europa duckte.
Er kaufte einen Stoß Tageszeitungen und zwei Schachteln Zigaretten. Auf dem Rückweg machte er Halt im Blumenladen auf der anderen
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