Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
…« Sie seufzte tief auf. »In jenen Jahren war ich schön, ganz wie Magdalena. Wir waren einander so ähnlich, dass die Leute uns bisweilen verwechselten …«
Anna wartete.
»Ich war einsam, in jeder Beziehung«, fuhr Eudoxia fort. »Ich habe mir einen Liebhaber genommen. Ich habe mich ungehörig verhalten. Mein Mann hat mir vorgehalten, ich sei eine gewöhnliche Hure, und gesagt, er habe Zeugen, die
das beweisen könnten.« Erneut stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Daraufhin hat Magdalena erklärt, sie, und nicht ich, sei mit dem Mann zusammen gewesen. Sie hat es nicht mir zuliebe getan, sondern um Giulianos willen. Ich hatte die Möglichkeit, für den Jungen zu sorgen, sie nicht.«
Anna konnte den Kloß in ihrer Kehle kaum herunterschlucken.
»Man hat Magdalena den Prozess wegen Hurerei gemacht, sie für schuldig befunden und bestraft. Sie ist bald darauf gestorben, völlig verarmt und seelisch am Ende. Ich denke, sie hatte sich inzwischen den Tod gewünscht. Ihre Liebe zu Giovanni Dandolo hatte nie aufgehört, und so hatte sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr gesehen.«
Eudoxias Stimme war von Tränen erstickt. »Mein Mann wusste, dass in jener Nacht ich, und nicht Magdalena, in der Schenke gewesen war, und ihm war auch klar, warum sie gelogen hatte. Er hat mich gezwungen, einer Scheidung zuzustimmen und den Nonnenschleier zu nehmen. Aber er war nicht bereit, Giuliano zu sich zu nehmen. Er wollte ihn auf die Straße setzen oder an einen Kinderhändler verkaufen. Weiß Gott, was aus dem Jungen geworden wäre.« Sie erschauerte. »Also bin ich schließlich mit ihm aus Nikaia geflohen und habe mich nach Venedig durchgeschlagen. Dort habe ich den Jungen seinem Vater übergeben. Es war nicht schwer, in jener Stadt einen Angehörigen der Familie Dandolo zu finden. Ich hatte erwogen, dort zu bleiben oder gar dort zu sterben. Aber dazu hat mir der Mut gefehlt. Auch hat mein Gewissen nach einer echten Sühne verlangt, und so bin ich zurückgekehrt und habe den Schleier genommen, wie ich es meinem Mann zugesagt hatte. Mittlerweile bin ich seit nahezu vierzig Jahren hier. Vielleicht habe ich ja inzwischen für alles gesühnt.«
Anna nickte. Ihr Gesicht war nass von Tränen. »Ihr habt gefehlt, wie es ein einsamer und nach Verständnis hungernder Mensch tut. Das ist leicht zu verstehen. Natürlich habt Ihr für alles gesühnt. Darf ich Euch Giuliano herbringen, damit er aus Eurem eigenen Mund erfährt, was Ihr mir berichtet habt?«
»Ja, tut das!«, bat Eudoxia. »Mir … mir war gar nicht bekannt, dass er noch lebt. Sagt mir, ist er ein guter Mensch geworden? Ist er glücklich?«
»Ein sehr guter Mensch«, gab Anna zurück. »Und Eure Worte werden für ihn ein Geschenk sein, das ihn so glücklich machen wird, wie nichts anderes das könnte.«
»Ich danke Euch«, sagte Eudoxia mit einem Seufzer. »Und um den Schlaftrunk braucht Ihr Euch nicht zu bemühen. Ich denke, ich werde ihn jetzt nicht mehr brauchen.«
KAPİTEL 74
Giuliano hatte die Ikone dem Papst überlassen. Lieber hätte er sie Kaiser Michael zurückgegeben, hatte aber nach längerem Überlegen begriffen, was dagegen sprach. Er hätte ihn damit lediglich genötigt, sie erneut verpacken und nach Rom schicken zu lassen. Hinzu kam die Gefahr, dass sie unterwegs verlorengehen konnte, ganz besonders in dieser Jahreszeit.
Daher hatte er, vom Abgesandten des Papstes in Venedig darauf angesprochen, diesem die Ikone sogleich ausgehändigt – als Geschenk der Republik Venedig, die sie, wie er erklärte, aus Piratenhand gerettet hatte. Niemand schenkte dieser Geschichte Glauben, aber darauf kam es auch nicht
an. Sie hatten eine gute Flasche venezianischen Wein miteinander geleert, aus vollem Herzen gelacht, dann war der Abgesandte unter dem Schutz einiger Bewaffneter mit der Ikone abgereist.
Giuliano brach nach Konstantinopel auf, wo er sechs Wochen später eintraf. Nach einem heftigen Sturm im Marmarameer war er froh, endlich am Goldenen Horn anlegen zu können. Der vertraute Umriss des hohen Leuchtturms wie auch das warme Rot der Hagia Sophia waren ihm ein willkommener Anblick, doch noch während er sich daran freute, kam ihm zu Bewusstsein, dass all das Sicherheit lediglich vorspiegelte.
Kaum hatte er den Fuß an Land gesetzt, als ihm der Hafenmeister einen für ihn bestimmten Brief übergab, der als DRINGEND gekennzeichnet war. Es hieß, dass er bereits seit zwei Tagen für ihn bereitlag. Sein Inhalt lautete:
Geschätzter Giuliano,
durch
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