Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
ich sie an mich gebracht habe. Er hat nie gewagt zu verlangen, dass ich sie wieder herausgebe.«
Annas Gedanken jagten sich. »Und Helena weiß nichts davon?«, fragte sie.
»Es war besser so«, sagte Irene matt. »Wenn sie es gewusst hätte, hätte es bei ihr kein Halten mehr gegeben.«
»Und warum soll ich Euch all das glauben?«
»Weil es die Wahrheit ist. Ich werde Helena einige dieser Briefe hinterlassen. Mein Vetter wird sie ihr zu gegebener Zeit aushändigen. Die übrigen bewahre ich in einer Truhe auf. Der Schlüssel dazu liegt unter meinem Kopfkissen. Gebt sie Dimitrios.« Sie fügte mit dem Anflug eines Lächelns hinzu: »Sobald Helena davon weiß, hat sie Macht. Genau das ist der Grund, warum Zoe es ihr nie gesagt hat.« Sie atmete rasselnd. »Aber jetzt ist es mir einerlei. Es wird für Zoe die Hölle sein … jeden Tag aufs Neue.« Ihr Mund öffnete sich zu einem leichten Lächeln, als schmecke sie etwas Süßes.
Sie schloss die Augen, und nach und nach verschwand jeder Ausdruck von ihren Zügen. Sie schlief über eine halbe Stunde lang.
Man hörte ein Geräusch auf dem Gang, dann flog die
Tür auf. Dimitrios kam mit wehender Dalmatika herein, nass vom Regen, seine Augen dunkel und voll Ärger.
»Mutter?«, fragte er leise. »Mutter?«
Irene öffnete die Augen. Es dauerte eine Weile, bis sie klar sehen konnte. »Dimitrios?«
»Ich bin hier.«
»Gut. Lass dir von Anastasios die … Briefe geben. Gib gut auf sie acht. Wirf nichts …« Sie atmete tief ein und stieß die Luft seufzend wieder aus. Es klang wie ein leichtes Keuchen in ihrer Kehle. Dann herrschte Stille.
Dimitrios wartete eine Weile und stand dann auf. »Sie ist tot. Um was für Briefe geht es? Wo sind sie?«
Anna nahm den Schlüssel unter dem Kissen hervor und ging zu der Truhe, die nahe der Ikone an der Wand stand, ganz wie Irene es ihr gesagt hatte. Die Briefe waren zu einem ordentlichen Bündel verschnürt.
»Danke«, sagte er und nahm sie entgegen. »Ihr könnt gehen. Ich möchte gern mit ihr allein sein.«
Anna hatte keine andere Möglichkeit, als sich zu fügen.
KAPİTEL 76
Es überraschte Zoe in keiner Weise zu hören, dass Irene tot war, schließlich hatte sie schon eine ganze Weile krank darniedergelegen. Sie empfand keinen Kummer, da sie zugleich befreundet und verfeindet gewesen waren. Wohl aber beunruhigte sie das Bewusstsein, dass sie beide an der Verschwörung gegen Kaiser Michael beteiligt gewesen waren.
Während sie in ihrem herrlichen Empfangsraum auf und ab schritt, bereitete ihr der Gedanke insgeheim Sorgen,
dass Anastasios, dieser falsche Eunuch, der seine Nase in alles steckte und bei dem man nie wusste, was er tun würde, Irene während ihrer letzten Lebenstage behandelt hatte. Menschen, die krank waren, Angst hatten und merkten, dass sie bald sterben würden, plauderten bisweilen Geheimnisse aus, die sie sonst mit Sicherheit für sich behalten hätten.
Und dann war da noch Helena. Sie hatte sich seit Irenes Tod sichtbar verändert. Überheblich war sie zwar schon immer gewesen, aber jetzt trat sie mit geradezu beängstigender Anmaßung auf, als habe sie nichts mehr zu fürchten.
Ob sie annahm, Dimitrios werde sie heiraten, jetzt, da seine Mutter tot war? Das konnte sie unmöglich glauben, denn auf jeden Fall würde er eine angemessene Trauerzeit einhalten müssen.
Auch hatte Helena ihm gegenüber in jüngster Zeit keineswegs eine bisher ungewohnte Wärme an den Tag gelegt – eher ganz im Gegenteil. Sie schien nur noch um sich selbst zu kreisen. Etwas an ihrer Haltung wies in eine Richtung, die weit über Selbstsicherheit und Status hinausging.
War es denkbar, dass sie den Thron im Blick hatte? Wollte man einen neuen Versuch machen, den Kaiser zu stürzen, und bestand dabei Aussicht auf Erfolg? Die Situation war grundlegend anders als beim vorigen Mal, und mit Sicherheit würde sich Zoe an einem solchen Versuch nicht beteiligen. Doch durfte sie Michael ihren Verdacht mitteilen?
Unmöglich. Dazu war sie zu sehr in das vorige Komplott verwickelt gewesen.
KAPİTEL 77
Der Mann, der die Botschaft des Papstes überbrachte, schien am Ende seiner Kräfte zu sein und machte einen bekümmerten Eindruck. Die Höflichkeit verlangte, dass Palombara ihm eine Erfrischung anbot, aber sobald der Diener gegangen war, um sie zu holen, bat er den Mann, ihm die Nachricht mitzuteilen.
»Gott weiß, dass wir uns nach Kräften um den Zusammenschluss mit den Byzantinern bemüht haben, aber es ist uns nicht gelungen«,
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