Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
Vom Netzwerk:
als wir fast da waren. Sie hat gesagt: ›Mir ist so elend, wir können das doch nicht machen.‹ Deca und ich haben versucht, sie zu beruhigen, viel Erfolg hatten wir nicht. ›Geh ins Führerhaus‹, hab ich zu ihr gesagt, ›setz dich rein, schau gar nicht zu.‹ Die See war schon ziemlich rau um diese Stunde, wir hatten einen sechser Wind, der auf sieben ging und in den Böen vielleicht schon mit Stärke acht blies, dann ist da draußen schon ganz schön was los. Als wir an der Strömung waren, also an der Koordinate, die wir festgelegt hatten, ging’s mächtig auf und ab, und da ist uns die Baumkurre auf der Backbordseite weggerutscht, das Ding hat sich auf einmal losgemacht mit allen Ketten, neun Tonnen Metall, das hat einen Riesenradau gemacht. Sie ist schräg aus dem Kutter geschlittert und hat sich dort verkantet, weiß der Himmel, wie das zugegangen ist, jedenfalls hing der Baum mitsamt Netz nach Backbord raus ins Wasser, sodass der Kahn glatt ein wenig Schieflage hatte. Deca hat mir durch den Wind zugerufen: ›Darum kümmern wir uns gleich, jetzt machen wir erst mal, was wir machen müssen!‹ Na ja, dann haben wir die Leiche genommen, sie war ausgezogen, nur mit den Socken dran, das war ein Bild, das ich im Leben nicht mehr aus dem Kopf bekomme, also Deca hat die Beine genommen und ich die Schultern, und dann war Mann über Bord.«
    Kirchner konnte an Guillaume immer noch keine Trauer feststellen. Wut und Ekel, vielleicht, Scham, aber sonst nicht weiter viel, kein menschliches Gefühl, das sich auf Lacombe bezogen hätte. Er hatte ihn abgehakt, aus seinem Leben getilgt, er hatte ihn buchstäblich über Bord geworfen.
    Kirchner war sich sicher, nun eine wahre Geschichte gehört zu haben. Nur ergab sie eben noch immer keinen Sinn. Lacombes Leiche lag nicht auf dem Meeresboden, von Strudeln hinabgezogen in den Golf von Gascogne. Sie lag im Hospital des heiligen Antonius zu Padua in Bordeaux. Guillaumes Geschichte musste noch weitergehen.
    Er rauchte eine neue Dunhill-Menthol .
    Kirchner hatte einen trockenen Hals. Er ging, ohne zu fragen, ins Haus und holte sich eine Flasche Wasser aus der Kiste, die neben dem Fernseher des alten Moreau stand. Er trank ohne Glas und ging wieder zu Guillaume hinaus.
    »Danach war Stille«, setzte der wieder an, »ob Sie’s glauben oder nicht: Danach hat sich das Meer geglättet, für eine halbe Stunde oder so, es war ganz friedlich. Deca und ich haben uns angesehen, und danach hat er mich umarmt, ich weiß gar nicht, warum. Nadine ging es auch besser, sie stand jetzt oben in der Tür und hat nicht mehr geweint. Wir haben uns alle drei hingesetzt an Deck, und Deca hat gesagt: ›Ich brauche einen Schnaps‹, und dann haben wir Calvados getrunken, aus Wassergläsern, Nadine auch, und danach ging’s uns allen besser. Wir dachten ja, die Geschichte ist vorbei.«
    »War sie aber nicht.«
    »Nein, das war sie nicht«, sagte Guillaume bitter, wie ein Mann, der die Macht des Schicksals am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.
    Als sie sich daranmachen wollten, das abgestürzte Netz an seinem schweren Gestänge wieder an Deck zu holen, brach der angekündigte Sturm wirklich los.
    »Da waren so Windlöcher, in denen hat es bestimmt mit Stärke neun geblasen. Die Baumkurre konnten wir jedenfalls erst mal vergessen. Wir haben uns ins Führerhaus verzogen, mit den Augen auf das Wetterradar. Weiter nördlich war es ein wenig besser, Richtung Süden blies der Wind noch stärker, also haben wir nördlichen Kurs genommen. Es war eine ziemliche Achterbahnfahrt, aber wir sind das ja auch gewohnt. Man brauchte keine Angst zu haben, die Falcon ist auch ein sehr stabiler Dampfer, und nach ein paar Seemeilen waren wir eigentlich aus dem Gröbsten raus.«
    Gegen vier Uhr morgens erreichten sie den Hafen von Arcachon wieder, die Anlagen waren um diese Stunde noch für vielleicht dreißig Minuten wie tot, danach würde in der Fischfabrik die Arbeit beginnen, die Ware musste schnell und früh verarbeitet und auf Eis gepackt werden. Die Laster, die für die Märkte der Region, aber auch für Großhändler in Lyon beladen wurden, gingen in der Regel gegen fünf Uhr morgens ab, an diesem Tag – mit dem Sturm draußen – würde weniger Betrieb herrschen als sonst.
    Die drei an Bord der Falcon waren froh über ihre Heimkehr wie selten zuvor.
    »Wir freuten uns aufs Bett«, sagte Guillaume, »wir waren erschöpft nach den vielen Aufregungen.«
    Kein Wunder, nach dem Sturm der See und eurer eigenen

Weitere Kostenlose Bücher