Die Ecstasy-Affäre
keine Angst mehr, wie ich schon sagte, daß Ulrike uns verraten könnte. Sie wird es nie tun!«
»Eine Frau ist wie eine Blume: Von der Knospe bis zum Welken vergeht die Zeit. Sie verstehen?«
»Nein.«
»Der Entschluß einer Frau braucht mehr Zeit als bei einem Mann. Sie speichert mehr und schüttet dann den vollen Trog aus.« Loks Bilder waren plastisch, von Gleichem mußte es zugeben. Sie überzeugten. »Ich möchte nicht abwarten, bis sie den Trog ausschüttet.«
In der letzten Woche vor Weihnachten hielt Hauptkommissar Peter Reiber noch einmal einen Vortrag über die ›aktuelle Lage‹.
Reiber war mittlerweile als der Beamte bekannt geworden, der mit Akribie alle Fakten sammelte, die eine Behinderung der Polizei darstellten. Bei den Polizeipräsidien, den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt häuften sich die Vorfälle, die den Vorwurf entkräfteten, die deutsche Polizei sei ein Haufen halbblinder Invaliden, ein brutaler Schlägertrupp oder einfach ein Gesangverein, der ständig falsche Töne von sich gab. Die Kritik an der deutschen Polizei nahm geradezu groteske Formen an, vor allem in der Presse und den Medien, die ja bekanntlich einen maßgebenden Einfluß auf die Stimmung und das Urteilsvermögen des Volkes ausüben. Das Zerrbild, das dadurch verbreitet wurde, verminderte das Ansehen der Polizei derart, daß der Ausdruck ›Bulle‹ schon fast ins Lächerliche abglitt.
Das alles sammelte Reiber, um einmal eine fundierte Dokumentation herauszugeben, die beweisen sollte, daß die deutsche Justiz im allgemeinen sich in einer gefährlichen Krise befand und das Rechtsdenken im besonderen. Eine gefährliche Aufgabe, die sich Reiber da gestellt hatte; nicht nur die Presse würde sich auf ihn stürzen, sondern auch Politiker, vornehmlich in Bonn, würden sauer reagieren und sich den Namen Reiber merken. Denn nichts ist in einer Demokratie verhaßter, als einem vom Volk gewählten Vertreter zu beweisen, daß seine Arbeit dem Willen des Volkes widerspricht. Und für diese Arbeit gibt es eine Menge Beispiele von hirnrissigen Entscheidungen oder Anträgen.
Man war im Präsidium deshalb immer gespannt, wenn Reiber zu einem seiner Vorträge einlud. Vieles, was er sagte, war bekannt, aber wie er es vortrug und mit welchen Folgerungen, das war immer ein Erlebnis und schürte Aufsässigkeit und Empörung. Man hatte dann Diskussionsstoff genug, um aus tiefster Seele über diesen Staat zu schimpfen!
Mit Recht?
Eine Frage, die jeder beantworten konnte, der Reibers Vortrag gehört hatte.
Wortke hatte die ›Akte Habicht‹ beiseite gelegt zu den schwebenden Fällen. Auch die zu spät erfolgten Verhöre bei den Angestellten des Prinzregenten-Bades hatten keine neuen Erkenntnisse ergeben. Man konnte sich zwar an diese Frau erinnern, aber keiner war mehr in der Lage, genaue Auskünfte zu geben. Und – was Wortke fast zum Platzen brachte – alle bestätigten das Phantombild, das man nach Bademeister Pulvers Angaben angefertigt hatte.
»Ja, so hat sie ausgesehen. Genau so!«
Wortke machte seiner Enttäuschung Reiber gegenüber Luft, indem er sagte: »Ich hätte nie gedacht, daß ein Idiot wie ich einmal Kriminaloberrat wird!«
Und dann hatte er die Akte in den Schrank gefeuert.
Der große Sitzungssaal im Präsidium war überfüllt, als Reiber das Rednerpult betrat. Er sah die Spitzenkräfte der einzelnen Behörden vor sich, den Präsidenten des LKA, den Polizeipräsidenten, einige Ministerialdirektoren, den Oberbürgermeister der Stadt München und Landtagsabgeordnete, was Reiber besonders freute, denn die würde er attackieren. Außerdem noch Manager der Wirtschaft, Gewerkschaftssekretäre, Parteivertreter, eben der ganze Block von Verantwortlichen, von denen einige nicht wußten, was Verantwortung überhaupt ist.
Reiber warf noch einen langen Blick über die Versammlung, ehe er mit seinem Vortrag begann. Ihr werdet staunen, dachte er. Es wird auf euch niederprasseln wie eierdicker Hagel. Zieht die Köpfe ein.
»Meine Damen und Herren!« begann er mit ruhiger Stimme, nachdem er seine Unterlagen auf das Rednerpult gelegt hatte. »Ich möchte heute zu Ihnen von der aktuellen Lage der Kriminalarbeit sprechen. Um es vorwegzunehmen: Die Lage ist miserabel! Erschrecken Sie deshalb nicht, wenn Sie mit Tatsachen konfrontiert werden, die Sie nicht für möglich halten. Beginnen wir mit dem Gebiet, das uns in den letzten Jahren am meisten Sorgen macht und das in die Zuständigkeit meines Dezernates fällt: Die
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